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Torte mit Staebchen

Torte mit Staebchen

Titel: Torte mit Staebchen
Autoren: Susanne Hornfeck
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Muss i denn, muss i denn   …
    Genua, 1938   – Jahr des Tigers
    虎
    Es war ein heiterer Tag mit weißen Schäfchenwolken, ungewöhnlich warm für die Jahreszeit. Zumindest wenn man aus dem Norden Deutschlands kam und einen dicken Wintermantel trug. Inge musste ihn anhaben, denn in den Koffer hatte er nicht mehr hineingepasst. Nun stand sie schwitzend zwischen Mutter und Vater an der Reling der »Conte Biancamano«. Graf Weiße Hand   – ein passender Name. Das klang nach dem Märchenprinzen, der dich bei der Hand nimmt und vor allem Bösen rettet.
    Ein weißer Märchenprinz war es auch gewesen, der sie nach der endlos langen Zugfahrt vor den Menschenmassen in der Wartehalle am Hafen gerettet hatte. Wieder waren sie mit Hunderten anderer Passagiere und Unmengen von Gepäck zusammengepfercht gewesen. Im erregten Stimmengewirr hörte man viel Deutsch, aber die Durchsagen waren alle auf Italienisch   – keiner kannte sich aus. Dann war ein Mann von der Reederei erschienen, hatte ihre Karten inspiziert, und auf einmal war alles ganz anders. Eine Verbeugung andeutend, hatte er Inge und ihre Eltern freundlich angelächelt: »Schanghai?« Auf ihr verschüchtertes Nicken hin hatte er einen Kabinenstewardherbeigewinkt. So war Paolo in Inges Leben getreten. Nach all den braunen und schwarzen Uniformen in ihrer Heimat war er ihr wie ein Engel in Weiß und Gold erschienen. Mit schwarzen Locken und spitzbübischen dunklen Augen. Inge fand ihn wunderbar, und auch er schien einen Narren an dem Mädchen mit den blonden Zöpfen gefressen zu haben.
    »Ich bin Ihre Kabinesteward und werde während die Reise für Ihre Wohl sorgen«, hatte er sich in einem klangvollen Deutsch vorgestellt, das einsamen Konsonanten gern einen Vokal an die Seite gab.
    »Das Ihre gesamte Gepäck?«
    Inges Vater hatte nur stumm genickt.
    Mit großer Geste griff er nach den Koffern und packte sie auf einen kleinen Gepäckwagen. Als er den letzten anhob, zog er hörbar die Luft ein, sagte aber nichts. Mutter und Tochter tauschten einen wissenden Blick.
    »Bitte Sie mir folgen.«
    Folgen war sonst nicht Inges Stärke, aber diesmal trabte sie ohne Zögern hinter ihrem Retter über die Gangway hinein in die weiße Innenwelt des riesigen Schiffs und über Treppen und Gänge immer weiter hinauf.
    »Hier oben sind Kabinen erste Klasse. Ihre hat Numero 375.   Außenkabine mit Blick auf Meer. Prego, Signora.«
    Schwungvoll öffnete er die Tür. Inges Mutter war so verblüfft, dass sie im Türrahmen stehen blieb. Inge musste sie ein wenig zur Seite schieben, um auch etwas sehen zu können: ein richtiges kleines Wohnzimmer, aber statt des Fensters hatte es ein rundesBullauge, durch das Hafen und Berge zu sehen waren; in der Mitte eine Sitzgruppe mit Sofa und Sesseln, auf dem Tisch eine Obstschale und eine Wasserkaraffe samt Gläsern, bedeckt mit einer gestärkten weißen Serviette. Es roch nach Möbelpolitur.
    »Nebenan ist Schlafezimmer, und für Signorita haben wir Bett in Ankleidezimmer gestellt. Ich hoffe, das ist Signorita angenehme.«
    Angenehm? Inge war schlichtweg begeistert von ihrem privaten Reisekämmerchen.
    »Ich voreschlage, Sie gehen jetzt auf Promenadendeck, sonst Sie verpassen Auslaufen. Ich auspacke Koffer.«
    Dieses Angebot riss Inges Mutter aus ihrer Erstarrung. »Aber nein«, stieß sie hervor, »das machen wir später selbst. Bemühen Sie sich nicht.«
    Paolo gab erst auf, als Inges Mutter ihm mit Nachdruck erklärte, dass sie jetzt allein sein wollten.
    »Zum Promenadendeck vorne rechts, dann Treppe hinauf. In zehn Minuten wir ablegen«, mahnte er, bevor er ging, und blinzelte Inge verschwörerisch zu. »Bitte klingeln, wenn Sie etwas brauchen.«
    Seufzend ließ Inges Mutter sich gegen die geschlossene Tür fallen, der Vater sank, den Hut noch auf dem Kopf, in den nächsten Sessel. Doch Inge ließ ihnen keine Ruhe.
    »Wir müssen an Deck. Schnell! Ich will doch sehen, wie das Schiff ablegt.«
    »Das Kind hat recht, Willi. Das dürfen wir nicht verpassen.«
    Triumphierend zerrte Inge die beiden eine weitereTreppe hinauf aufs Promenadendeck. Dort herrschte längst nicht solches Gedränge wie auf den unteren Etagen, wo die Menschen um einen Platz an der Reling kämpften. Alle wollten das Ablegemanöver verfolgen oder zurückbleibenden Angehörigen winken. Inge und ihre Eltern hatten niemand, dem sie winken konnten.
    Die beiden riesigen Schornsteine des Dampfers spuckten bereits schwarze Rauchschwaden, die Schiffssirene stieß ein dumpfes
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