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Torte mit Staebchen

Torte mit Staebchen

Titel: Torte mit Staebchen
Autoren: Susanne Hornfeck
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vorwitzige Knallfrösche explodierten, in der Ferne prasselte der Trommelwirbel einer Löwentanz-Aufführung, die Nacht war voller Hoffnung und Neuanfang.
    »Die beraten jetzt über deine Zukunft«, sagte Sanmao.
    »Ich weiß, aber immerhin haben sie akzeptiert, dass die hier liegt und nicht irgendwo am Ende einer langen Schiffsreise.«
    »Ich bin froh, dass du dableibst.« Sanmao sah Inge ernst an. Er schien noch mehr sagen zu wollen, fandaber offenbar nicht die richtigen Worte. Da fiel sein Blick auf die zweisprachige Inschrift unmittelbar hinter ihr.
    »Wir haben immer noch nicht rausgekriegt, was das heißt«, lenkte er ab, indem er auf die hebräischen Zeilen deutete. »Du bist doch lange genug auf diese Schule gegangen. Kannst du’s inzwischen lesen?«
    »Mit ein bisschen Licht vielleicht schon.« Sanmao zog Streichhölzer aus der Tasche, zündete eines an und hielt das flackernde Flämmchen vor die eingravierten Buchstaben.
    Inge murmelte Unverständliches vor sich hin, was Sanmao mehrere Streichhölzer und eine fast verbrannte Fingerkuppe kostete: »Autsch, nun sag schon.«
    Ein Lächeln zauberte zwei Grübchen neben Inges zuckende Mundwinkel. »Soll ich?«
    »Mach’s nicht so spannend.«
    »Hier steht: ›Siehe, meine Freundin, du bist schön! Siehe, schön bist du. Hohelied Solomonis, Kapitel 4,1.‹«
    »Mensch, Inge«, Sanmao starrte sie entgeistert an. »So was in der Art wollte ich dir eben auch sagen, aber so gut hätt ich das nie hingekriegt. Jetzt hat mir der alte Silas Hardoon ausgeholfen.«
    »Ich glaube, die Hilfe kam von noch weiter oben.«
    »Wieso, wo steht denn das?«
    »In der Bibel, du Heide.«
    »Na dann. Aber Inge, ehrlich, ich finde, wenn unsere Eltern über die Zukunft reden, sollten wir das auch tun. Das meinte ich vorhin, als ich sagte, dass ich mich freue. Weil ich dich nämlich sehr gern mag. Und   …«
    Schon wieder blieb er stecken, aber diesmal kam Inge ihm zu Hilfe.
    Sie verschränkte die Hände hinter seinem Nacken und sah ihm auf Armlänge direkt in die Augen: »Ich dich auch, Sanmao. Das hättest du eigentlich schon mal merken können.«
    »Ich war mir nicht sicher, ob du mit so einem Halbdrachen wie mir befreundet sein willst.«
    »Jetzt hör doch endlich damit auf. Kannst du denn nicht kapieren, dass ich das ganz anders sehe. Als eine große Bereicherung.«
    »Und da ist ja auch noch dieser Max.«
    »Hab ich dir doch längst erklärt.« Das war es also gewesen.
    »Aber du hast doch gesagt, er ist dein Gefährte. Ich weiß einfach nicht genau, was dieses Wort bedeutet.« Mit verzweifelter Entschlossenheit brach die Frage, die ihn so gequält hatte, aus Sanmao heraus.
    »Das war doch bloß ein Wortspiel, das mir gerade eingefallen ist. Max ist ein Freund, wir waren Kinder, als wir uns kennengelernt haben. Aber er ist
ein
Freund, nicht
mein
Freund. Das ist ein feiner Unterschied. Es ist gut, ihn zu haben, weil er aus meiner alten Heimat kommt, weil er auch von dort vertrieben wurde, weil er versteht, was für ein Gefühl das ist.«
    Sanmao seufzte hörbar auf.
    »Ich weiß, über Gefühle zu reden ist nicht einfach, egal in welcher Sprache, dazu muss man alle ihre Feinheiten kennen. Aber wir haben ja zwei Sprachen. Da hat immer einer den Heimvorteil, deshalb gleicht sich’s wieder aus.«
    »In dieser Hinsicht bin ich wahrscheinlich chinesischer als du denkst.«
    Als ob ich das nicht längst gemerkt hätte, dachte Inge.
    »Aber deinem Heimvorteil kann ich auch anders beikommen.«
    Plötzlich wurde Inge von kräftigen Händen in eine Umarmung gezogen. Sanmaos Lippen drückten sich sanft auf die ihren. Dann löste er sich von ihr, als wollte er ihr Einverständnis einholen, nur um sie gleich noch einmal und mit mehr Nachdruck zu küssen.
    »Ganz schön gut für ein Auswärtsspiel«, stammelte Inge, als sie wieder zu Atem gekommen war. Das letzte Wort musste natürlich sie behalten.
    Aus den vereinzelten Neujahrskrachern war jetzt Dauerbeschuss geworden.
    Schweren Herzens lösten sie sich voneinander und vom verwunschenen Erinnerungsort einer jüdischchinesischen Liebe und schritten wie benommen über den Lärmteppich, den das neue Jahr für sie ausgerollt hatte.
    Die Ehepaare Fiedler und Finkelstein standen bereits in der Toreinfahrt, wo die beiden Väter zündelten wie kleine Jungs.
    »Wo wart ihr denn so lange?«, wollte Frau Finkelstein wissen.
    »Wir sind zum Jing’an-Tempel gegangen, da gibt’s am Abend vor Neujahr immer Löwentanz«, log Inge routiniert. Ihre Mutter
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