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Torte mit Staebchen

Torte mit Staebchen

Titel: Torte mit Staebchen
Autoren: Susanne Hornfeck
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man auf dich ganz anders. Bei dir erwartet keiner, dass du Chinesisch kannst, und deshalb freuen sich die Leute, wenn du in ihrer Sprache mit ihnen redest. Bei mir wissen sie dagegen nie, woran sie sind, und das verunsichert sie. Ich bin in beiden Ländern ein Ausländer, weil mir überall eine Hälfte fehlt.«
    Inge würde ihn so gern trösten, diesen chinesischen Simon Fiedler. Um ein Haar hätte sie ihm ihre Hälfte zur Ergänzung angeboten: die deutsche Fang Ying’ge, als »bessere Hälfte«. Doch dann merkte sie gerade noch rechtzeitig, dass das einem Heiratsantrag gleichgekommen wäre. Wie verräterisch Sprache doch sein konnte!
    Mit seinem Sinn fürs Praktische, den er ganz offensichtlich von seiner chinesischen Mutter geerbt hatte, rettete Sanmao sie aus ihrer Verlegenheit: »Und wie hast du dir das konkret vorgestellt?«
    »Ich helf doch jetzt in diesem Kindergarten aus, und das macht mir großen Spaß. Damit kann ich ein bisschen Geld verdienen, aber was ich wirklich möchte, ist richtig Chinesisch studieren.« Diese Neuigkeit ließ sie erst einmal wirken.
    Sanmao sah sie mit schief gelegtem Kopf prüfend an. »Ich kann mir gut vorstellen, wie du kleine Kinder dressierst«, sagte er lachend. »Meine Mutter hat also richtig gelegen mit deinem chinesischen Namen:Ying’ge, die vorbildliche, musterhafte Person. Aber noch mehr wird sie freuen, dass du weiter Chinesisch lernen willst. Endlich hat sie ein williges Opfer gefunden. Bei meinem Vater und mir ist sie nicht weit gekommen damit.«
    »Ich hab auch schon rausgekriegt, dass es an St. John’s Chinesischkurse gibt«, platzte Inge heraus.
    Ein Lächeln breitete sich über Sanmaos Gesicht. »Und wohnen könntest du bei uns.«
    »Sanmao! Ist das dein Ernst?« Inge war vor Begeisterung aufgesprungen. »Dann hast du das vorhin also nicht bloß höflich gemeint, dass ich bei euch zu Hause bin?«
    »Nein, wieso? Ist doch naheliegend. Meine Eltern hätten bestimmt nichts dagegen. Von hier zur St. John’s kann man bequem mit dem Rad fahren. Was sagen denn deine Eltern dazu?«
    »Meine Mutter hat natürlich ein großes Drama gemacht, als sie hörte, dass ich dableiben will, aber ich glaube, mein Vater versteht mich. So genau haben wir noch nicht drüber gesprochen. Vermutlich hoffen sie, dass ich Angst vor der eigenen Courage kriege, wenn’s erst mal so weit ist. Aber ich muss vorbereitet sein, verstehst du? Deshalb wollte ich unbedingt mit dir reden.«
    »Ich frag meine Mutter. Die hat sich schon immer eine Tochter gewünscht.«
    »Meine Eltern würde das bestimmt sehr beruhigen. Ich hab ja sonst niemanden hier.«
    »Und was ist mit dem Deutschen, dieser lange Kerl aus dem Ghetto, der dir das Rad besorgt hat?«
    »Ach, du meinst Max«, erwiderte Inge leichthin. War, was sie da hörte, vielleicht eine Spur von Eifersucht? War es Max gewesen, der ihm die ganze Zeit auf der Seele gelegen hatte?
    »So heißt er wohl.«
    »Den kenn ich doch schon vom Schiff, das ist bloß ein Gefährte.«
    Sanmao sah sie verunsichert an. Er beherrschte die Feinheiten des Deutschen nicht gut genug, um die Gefühlsnähe auszuloten, die in diesem altmodischen Wort steckte. Und Inge, die das genau merkte, ließ ihn genüsslich schmoren.
    »Er hat mir ein Gefährt besorgt, also ist er mein Gefährte. Klar, oder?«
    »Aber du hast gesagt, ihr habt eine ›Geschäftsbeziehung‹?«
    Ein weiterer Stolperstein für den armen Sanmao im Dschungel der Gefühle und ihrer Benennungen. Lachend hakte sie sich bei ihm unter.
    »Haben wir auch, aber die Betonung liegt auf ›Geschäft‹.«
    Sollte er nur ein bisschen grübeln, vielleicht begriff er dann endlich, was er für sie empfand und was Inge längst spürte. Womöglich würde er dann sogar über seinen chinesischen Schatten springen und es ihr sagen können.

Schwein gehabt
    Schanghai, 1947   – Jahr des Schweins
    豬
    Das chinesische Neujahrsfest lag in diesem Jahr besonders früh. Am 21.   Januar würde das Schwein das Regiment übernehmen. Frühlingserwachen war optimistisch: »Das Schwein schließt Tierkreis ab, es bringt Leute Ausbeute von letzte zwölf Jahre Mühe. Besonders gut für Geld und akademische Angelegenheit«, prognostizierte sie aus dem reichen Schatz ihrer chinesischen Lesensweisheit.
    Das ließ sich gut an, fand Inge. Und nicht nur der Tierkreis fand in diesem Jahr seinen Abschluss. Vor den Neujahrsferien beendete Inge die Schule mit einem Abschlusszeugnis, das dem deutschen Abitur entsprach.
    Als Inge neben ihren
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