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Topkapi

Topkapi

Titel: Topkapi
Autoren: Eric Ambler
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Oberschwester, eine alte Hexe, dahinterkam und mich für den Rest der Überfahrt dem Sportlehrer übergab. Meine Tante in Hither Green war auch eine Hexe, aber dort war ich willkommen. Sie war mit einem Buchhalter verheiratet, der meistens arbeitslos war. Die knapp zwölfeinhalb Schilling je Woche waren für sie ein Geschenk Gottes. Sie war korrekt, denn ein Mann vom Wohlfahrtsamt kam regelmäßig vorbei, um sich zu überzeugen, wie es mir ginge. Wenn ich etwas erzählt hätte, hätten sie mich weggenommen. Ich hatte es faustdick hinter den Ohren, wie wohl die meisten Jungen in diesem Alter.
    Die Schule war in Lewisham bei Blackheath. Eine große Tafel mit goldenen Buchstaben hing über dem Eingang:

    CORAM’S GRAMMAR SCHOOL
    Für die Söhne von Gentlemen
    Gegründet 1781

    Über der Tafel hing das Schulwappen mit dem Motto: Mens aequa arduis . Der Lateinlehrer sagte, es stamme von Horaz; aber der Englischlehrer übersetzte es gern mit Kiplings Worten: »Wenn du dir einen kühlen Kopf bewahrst, wenn alle anderen ihn verlieren … dann erst bist du ein Mann, mein Sohn.«
    Es war nicht gerade eine Schule wie Eton – es gab keine Internatsschüler, wir waren alle nur tagsüber dort –, aber sie wurde nach denselben Richtlinien geführt. Die Eltern oder, wie in meinem Fall, der Vormund mußten Schulgeld bezahlen. Es gab ein paar Jungen mit einem Stipendium – ich glaube, eine Auflage für den Zuschuß vom Erziehungsministerium –, aber es waren nie mehr als zwanzig auf die Schule verteilt. 1920 wurde ein neuer Direktor ernannt. Sein Name war Brush, und wir tauften ihn »Die Borste«. Er war Lehrer in einem großen Internat gewesen, und er führte eine Menge Neuerungen ein. Nachdem er eingezogen war, absolvierten wir nicht mehr Klassen, sondern Semester, und wir wurden angehalten, uns wie Gentlemen auszudrücken. Außerdem ließ »Die Borste« alle Lehrer in ihren Talaren zum Morgengebet antreten. Coram’s war, wie er betonte, eine Schule mit alter Tradition, und wenn wir auch nicht ganz so alt waren wie Eton und Winchester, waren wir doch ein gut Teil älter als Brighton oder Clifton. Alle Paukerei nützte nichts, wenn man nicht Charakter und Tradition hatte.
    Wie gesagt, ich erinnere mich kaum an meinen Vater; aber ein paar von seinen Lieblingsaussprüchen sind mir in Erinnerung geblieben. Vielleicht weil er sie so oft wiederholt hatte. Einer hieß, wie ich mich erinnere: »Melde dich niemals freiwillig.« Ein anderer lautete: »Kraft geht über Verstand.«
    Wohl kaum die richtige Devise für einen Offizier und Gentleman, meinen Sie? Ich bin da nicht so sicher; aber ich will mich nicht streiten. Ich kann nur sagen, daß es die Devise eines praktisch denkenden Berufssoldaten war und daß sie in Coram’s funktionierte.
    Ich entdeckte sehr bald, daß die Lehrer nichts mehr ärgerte als eine unordentliche Handschrift. Bei einigen war es tatsächlich so, daß die falsche Antwort, wenn sie nur fein säuberlich geschrieben war, beinahe gleich gut gewertet wurde wie die richtige Antwort in schlechter Schrift. So habe ich immer sehr sauber geschrieben. Oder wenn ein Lehrer etwas fragte und dann sagte: »Hand hoch, wer es weiß«, konnte man, auch wenn man es nicht wußte, ruhig die Hand heben, wenn man nur dabei lächelte. Lächeln – nicht grinsen oder feixen – war immer und zu allen Zeiten wichtig. Die Lehrer machten sich nicht allzu viele Gedanken um einen, wenn man aussah, als hätte man ein gutes Gewissen.
    Mit den anderen Jungen kam ich ganz gut zurecht. Ich bekam sehr früh den Stimmbruch, mit zwölf. Einige Zeit später unternahm ich mit einem Fünftkläßler namens Jones IV nächtliche Streifzüge in die Felder. Wir lasen Mädchen auf, »Hasenjagd«, um es mit einem militärischen Ausdruck zu bezeichnen. Ich entdeckte bald, daß es manchen Mädchen nichts ausmachte, wenn man ihnen unter den Rock faßte. Manchmal kamen wir sehr spät nach Hause. Das hieß, daß ich am nächsten Morgen früh aufstehen mußte, um meine Hausaufgaben zu machen, oder aber meine Tante dazu bringen mußte, mir eine Entschuldigung zu schreiben. Wenn alles schiefging, konnte ich immer noch von einem Jungen namens Reese abschreiben. Reese hatte gewöhnlich alles richtig. Wenn man wortwörtlich von ihm abschrieb, riskierte man ein »Sehr gut«. In meinem Fall würde das den Lehrer mißtrauisch machen. Ich schaffte einmal bei einer Chemiearbeit zehn von zehn möglichen Punkten, und dafür verprügelte mich der Lehrer, wegen Betrugs. Ich
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