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Topkapi

Topkapi

Titel: Topkapi
Autoren: Eric Ambler
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hatte den Mann von Anfang an nicht leiden können. Ich rächte mich, indem ich ihm ein Reagenzglas mit Schwefelsäure über seinen Fahrradsattel leerte, aber ich habe nie die Lehre vergessen, die ich aus dieser Geschichte zog. »Versuch dich nie besser zu machen, als du bist.« Ich glaube, ich habe mich so ziemlich daran gehalten.
    Eine englische Privatschulerziehung verfolgt hauptsächlich den Zweck, den Charakter zu formen, dem Schüler ein Gefühl für fair play und höhere Werte zu geben und ihn zu lehren, sich in allen Lebenslagen wie ein Gentleman zu benehmen. Das zumindest verdanke ich Coram’s.
    Rückblickend meine ich, daß ich trotz allem dankbar sein sollte. Ich kann zwar nicht behaupten, daß mir die Sache Spaß machte. Zum Beispiel Raufen: Das hielt man für sehr männlich. Sowie einer nicht sehr begeistert dabei war, wurde er »feiger Pudding« genannt. Wieso eigentlich – ich war nie scharf auf Faustschläge und eine blutige Nase. Das Elend war, daß ich mir immer den Daumen verstauchte oder die Knöchel aufschlug, wenn ich mich wehrte. Schließlich kam ich darauf, daß man sich am wirksamsten mit einer Schulmappe wehren konnte, besonders wenn man eine Feder oder die scharfe Kante eines Lineals herausstehen ließ; trotzdem war mir jede Art von Gewaltanwendung stets unsympathisch.
    Etwa im gleichen Maße, in dem mir Ungerechtigkeit verhaßt ist. Mein letztes Jahr in Coram’s, das eigentlich ein Vergnügen hätte sein können, weil es wirklich das letzte war, wurde mir vollkommen verdorben.
    Daran war Jones IV schuld. Er war von der Schule abgegangen und arbeitete bei seinem Vater in der Garage. Ich zog mit ihm immer noch manchmal in die Felder. Eines Abends zeigte er mir ein langes Gedicht. Ein Kunde hatte es ihm gegeben. Es hieß »Die Verzauberung« und sollte angeblich von Lord Byron stammen. Es begann:

An einem dunkeltrüben Tag
Als ich in meiner Kammer lag
Bin ich aus tiefen Traumes Nacht
Durch helles Silberlachen aufgewacht.

    Es stellte sich heraus, daß das Lachen durch ein Astloch in der Wand hinter seinem Bett drang, und er spähte durch das Loch.

Ein Jüngling und ein Mädchen fein
Die kosten in dem Kämmerlein.

    Dann wurde beschrieben, was der Jüngling und das Mädchen in der nächsten halben Stunde taten – sehr poetisch, aber auch in allen Einzelheiten. Mit einem Wort: hochexplosiv.
    Ich fertigte Abschriften an und ließ sie ein paar Schulkameraden lesen. Dann durften sie das Gedicht für vier Pence pro Mann abschreiben. Ich war recht gut am Verdienen, als ein Viertkläßler eine Kopie in der Tasche seines Jacketts steckenließ, die seine Mutter fand. Ihr Mann schickte das Gedicht, zusammen mit einem Beschwerdebrief, an »Die Borste«. Er verhörte jeden einzelnen Schüler, um herauszubekommen, wer das Ding in Umlauf gesetzt hatte, und landete folgerichtig bei mir. Ich sagte, ich hätte es von einem Jungen bekommen, der vergangenes Jahr von der Schule abgegangen sei – aber er glaubte mir wohl nicht. Er saß an seinem Pult, trommelte mit seinem Bleistift vor sich hin und sagte ein ums andere Mal: »Elender Schmutz.« Schließlich meinte er, da es mein letztes Jahr sei, würde er mich nicht von der Schule verweisen, aber mit den jüngeren Schülern zu verkehren wurde mir für den Rest meiner Schulzeit streng verboten. Er verprügelte mich nicht und schrieb auch nicht ans Wohlfahrtsamt. Trotzdem war es eine üble Sache, die mich sehr mitnahm. Ich glaube sogar, daß das der eigentliche Grund war, weshalb ich meine Abschlußprüfung nicht bestand. Um diese Abschlußprüfung woben sie in Coram’s eine wahre Gloriole. Ohne sie konnte man anscheinend in keiner Bank oder Versicherungsgesellschaft einen anständigen Job bekommen. Ich wollte keinen Job in einer Bank oder Versicherungsgesellschaft. Mr. Hafiz war gestorben, und Mutter wollte, daß ich zurückkam und das Gaststättengewerbe erlernte – aber ein Schlag war es trotzdem. Ich bin davon überzeugt, wäre »Die Borste« etwas toleranter und verständnisvoller gewesen und hätte mich nicht behandelt, als hätte ich ein Verbrechen begangen, dann wäre alles anders gelaufen. Ich war ein sensibler Junge und hatte das Gefühl, daß ich in Coram’s irgendwie verkannt wurde.
    Jetzt kann ich natürlich lächelnd auf die ganze Geschichte zurückblicken. Aber ich möchte zum Ausdruck bringen, daß Leute in verantwortlicher Stellung – wie Schuldirektoren, Polizeibeamte – einfach dadurch viel Schaden anrichten können, daß sie sich
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