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Töten Ist Ein Kinderspiel

Töten Ist Ein Kinderspiel

Titel: Töten Ist Ein Kinderspiel
Autoren: Corinna Waffender
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dasaß, mit den kurzen Armen an den Schultern, an denen nervös die Finger kreisten, in seinem Kopf ein Kampf auf engstem Raum.
    „Wenn ich damals schon auf der Welt gewesen wäre – mich hätten sie auch abgeholt.“ Einatmen, ausatmen. „Oder?“
    Die Antwort sah er jeden Tag im Spiegel.
    Nach all den Jahren reden, statt die fahrigen Gedanken zu verscheuchen wie unliebsame Fliegen. Meine Stimme stolperte durch die stumme Erinnerung.
    „Wenn man gewusst hätte, wozu sie fähig waren, hätte man vielleicht fortlaufen können. Aber das Herz hält sich an einem Gefühl fest, das Zuhause heißt. Auch wenn die Erde, auf der es steht, längst bebt. Im Krieg muss man glauben, man käme davon, weißt du? Ich hatte keine Angst und was noch viel schlimmer war – ich hatte keine Ahnung. Mit zweiundzwanzig ist man federleicht, man denkt sich nicht vogelfrei. Das tun nur die Fänger. Stiefel bis zum Knie und darüber quollen die strammen Hosen, dass du dachtest, ihr Fleisch ist aus Eisen. Sie kamen im Morgengrauen, zu dritt, und sie ließen mir keine Zeit, das Glück zurückzulassen.Ich nahm alles mit: den Geschmack salziger Haut, den Duft nach warmem Haar, die Schmetterlinge im Bauch. Nach ein paar Stunden hatte ich alles herausgewürgt und sie ließen es mich wieder und wieder schlucken.“
    Die Suppe auslöffeln, die du dir eingebrockt hast.
    Hannes hörte zu, ich dachte: Bewege ich überhaupt die Lippen?
    Es dämmerte, und die Schachfiguren schliefen unberührt auf dem Spielfeld ein.
    „Den Turm“, hatte er mir verraten, „mag ich am liebsten. Er tut so schwerfällig, dabei kann er im entscheidenden Moment das ganze Spiel kippen.“
    Im entscheidenden Moment. Wenn man ihn nur voraussehen könnte. Man wäre dort und nicht hier, nähme einen anderen Weg, verließe das eigene Leben durch den Hinterausgang. Schwindelte sich durch anderer Leute Wahrheiten und verriete seine Eingeweide. Aber so ist das nicht, denn im alles entscheidenden Moment entscheidet man nichts mehr selbst. Man sieht stumm zu, wie einem angst und bange wird und begreift nicht, dass es erst der Anfang vom Ende ist.
    „Und dann?“
    „Dann habe ich zwei Jahre, einen Monat und dreiundzwanzig Tage so getan, als würde ich schlecht träumen, und ans Aufwachen geglaubt.“
    „Wo denn?“
    In der Hölle. Unter der Aufsicht des Teufels. Im Schatten des Todes.
    „In Ravensbrück“, antwortete ich.
    Und das Wort aus meinem Mund klang wie verrückt.

Dienstagmittag
    „Die Krankenschwester des privaten Pflegedienstes hat ausgesagt, sie habe Ingo Mangold gestern Abend um 18.10 Uhr in seiner Wohnung an eine Infusion mit hoch dosierten Schmerzmitteln gehängt.“ Erkner hatte die beiden Kollegen mit frischem Kaffee erwartet, den er nach dem Rezept seiner Großmutter mit ein wenig Zimt aufbrühte und dessen Geruch nach Advent eine eigenartige Atmosphäre in dem hochsommerlich heißen Besprechungsraum verbreitete.
    „Tatzeit?“
    „Zwischen 18 und 19 Uhr.“
    „Hätte er es mit dem Auto in einer halben Stunde nicht schaffen können?“ Inge Nowak wollte ihren Hauptverdächtigen, der zugleich bisher der einzige überhaupt war, nicht einfach kampflos aufgeben.
    Berger schüttelte den Kopf, während er die Kopie des Medikamentenberichts las, den Erkner per Fax angefordert hatte. „Wenn du das intus hast, bist du so breit, dass du mindestens eine Stunde gar nichts machst, außer benebelt an die Decke starren. Morphinhaltiger Schmerzkiller. Mit dem Viertel der Dosis haben sie mich während meines Bandscheibenvorfalls ruhig gestellt, da hätte ich nicht mal für sechs Richtige den Finger gerührt.“
    „Das erklärt auch, wieso er in der Kirche so apathisch war.“ Die Hauptkommissarin fächelte sich mit einem Schnellhefter Luft zu. „Macht ihn mir aber auch nicht wirklich sympathischer.“
    „Aber als Täter mehr als unwahrscheinlich.“
    „Als Täter ja, als Auftraggeber nein.“ Inge Nowak wusste selbst, dass diese These zum derzeitigen Stand der Ermittlungen nicht viel mehr als eine Seifenblase war. Sie entbehrte schlicht und ergreifend jeder Grundlage, weshalb sie, noch bevor Berger etwas einwenden konnte, abwinkte. „Schon gut. Machen wir uns an die Arbeit: Freunde, Bekannte, Arbeitskollegen – in dem Umfeld dürften wir mehr Engeln als Teufeln begegnen, oder?“
    Erkner öffnete das zweite Fenster im Raum ebenfalls weit. „Ich hab mich schon mal ein wenig schlau gemacht. Unsere Tote wurde in Darmstadt geboren. Aufgewachsen ist sie unweit von dort,
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