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Töten Ist Ein Kinderspiel

Töten Ist Ein Kinderspiel

Titel: Töten Ist Ein Kinderspiel
Autoren: Corinna Waffender
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ihm aufzubauen. All die Jahre hatte er versucht, eine gesunde Distanz zu Ben zu halten, es reichte, wenn er seiner Mutter verfallen war. Sara dagegen berührte ihn kaum. Sie war das Ergebnis einer gezähmten Liebe, und vielleicht war es das, was er ihr nicht verzeihen konnte: dass sie Erika und ihn zu einem ganz normalen Ehepaar gemacht hatte. Er bemühte sich, Sara den diffusen Unmut, den er gegen sie hegte, nicht spüren zu lassen. Ihr schien seine Abgewandtheit nicht viel auszumachen, vielleicht waren alle Väter so, und die Töchter hielten sich an ihre Mütter. Er selbst war derjenige, der am meisten unter seiner Gefühllosigkeit litt, gerade als Sara noch klein gewesen war und er in sich keinerlei Empfindung für sie ausmachen konnte.
    „Ein Monster“, dachte er dann, wenn er sie verstohlen betrachtete, „ich bin ein emotionsloses Ungeheuer, das nicht in der Lage ist, seine eigene Tochter zu lieben.“
    Mit Ben war es etwas anderes. Von Anfang an hatte er den Jungen gewollt.
    „Bist du dir sicher?“, hatte Erika ihn auf dem Weg zum Standesamt gefragt und war zögernd stehen geblieben.
    „Ganz sicher“, hatte er geantwortet und sie hatten sich mitten auf der Straße geküsst.
    Seine Eifersucht war grenzenlos, es war ihm nicht geheuer gewesen, dass sie ihn wollte. Er hatte ihr nicht getraut, sich gewehrt, ihr das Schlimmste von sich erzählt. Sie war geblieben und hatte das Wunder vollbracht, ihn zu beruhigen, Farbe in seine trüben Gedanken zu zaubern. Auf sonderbare Weise hatte sie ihn zusammengehalten, die Stimmen in ihm gebändigt und ihn besänftigt. Jedenfalls eine Weile. Aber das war lange her. So lange, dass es ihm manchmal wie ein Traum vorkam.
    Zuerst war die Ernüchterung gekommen, dann die Starre und später die Krankheit. Jahrelang hatte ihn die Wut zusammengehalten. Doch seit er von den vernichtenden Blutwerten wusste, fiel er mehr und mehr auseinander. Die Panik hielt ihn eisern im Griff und das einzige Mittel dagegen war der endgültige Rückzug von seiner Familie. Erika wollte ihm die sture Einsamkeit nicht zugestehen. Den Zustand, an ihm nicht teilzuhaben, hielt sie nicht aus, die Wahrheit ertrug sie nicht.
    „Es muss ein Mittel geben. Spezialisten. Wir dürfen nicht aufgeben!“
    Wir. In solchen Momenten konnte er sich am allerwenigsten damit abfinden, dass er dieses Wir, an dem er sich beinahe zwei Jahrzehnte abgearbeitet hatte, nicht mehr fühlen konnte. Wenn er es überhaupt jemals gefühlt hatte. Das Du hatte er gespürt und es haben wollen, vom ersten Augenblick an. Heirat als Verzweiflungstat. Die Angst, sie zu verlieren, bevor er sie jemals besessen hätte, hatte ihn verrückt gemacht. Unnahbar war sie gewesen, verschlossen und ernst. Mit einem Gott an der Hand, den sie enttäuscht für alles verantwortlich machte, was ihr Gerechtigkeitsempfinden störte. In einem hellhörigen Seminarhaus hatten sie sich das erste Mal lautlos in einem viel zu kleinen Bett geliebt. Schon da wusste er, er würde bei ihr bleiben, um jeden Preis. Vom ersten Moment an, waren sie einander ausgeliefert, dieselbe Macht, die ihre Körper leidenschaftlich in die Tiefe zog, wenn sie einander berührten, schleuderte sie im nächsten Moment aufeinander, ihre Herzen zu zerreißen mit einem Schlag. Er hatte sich damals die Frage sowenig überlegt wie sie die Antwort: „Ja, ich will.“
    Im Nebenzimmer hörte er, wie sein Sohn sich bereitwillig Fingerabdrücke abnehmen ließ. Auch er würde sich gleich behandeln lassen müssen wie einen Verbrecher.

Zwei
    Hannes pickte nur. Von Hunger verstand er nichts. Und doch fragte er zwischen den Kuchenkrümeln danach.
    „Die Leute sagen, du warst im KZ.“ Er sah mich an und seine Augen flatterten.
    Zwei Buchstaben, die niemand mehr kleinschreibt, wenn sie alleingelassen hintereinander stehen. Unzertrennlich, wie zwei, die der Zufall in einen Zug gesetzt hat, der an den Pforten der Hölle endete. Man nimmt eine an die Hand, weil sie da und nicht dort steht, weil es Schläge gibt für das aus der Reihe tanzen auf dem Weg zur Baracke. Noch in eigenen Schuhen, noch mit Namen, noch voller Hoffnung, drinnen könnte es menschlicher sein als draußen.
    Das wollte ich Hannes nicht erzählen.
    „Was fällt dir ein?“, presste ich hervor, zwischen den Zähnen keinen Spielraum, um zu lügen.
    Er schob die Reste auf dem Teller hin und her.
    „Wir haben das in der Schule durchgenommen. Filme gesehen. Über die Gaskammern und die Berge voller Zahngold und Brillen.“
    Wie er
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