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Töten Ist Ein Kinderspiel

Töten Ist Ein Kinderspiel

Titel: Töten Ist Ein Kinderspiel
Autoren: Corinna Waffender
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lagen.
    „Seit wann wohnt Frau Lenz denn schon hier?“, fragte Erkner und schaute an der gelben Fassade hoch.
    „1981. Wir haben fast zusammen angefangen. Sie ist ein Fossil hier.“ Die Heimleiterin lächelte. „Und absolut pflegeleicht. Ein Juwel von Mensch.“
    Im dritten Stock blieb Christiane Schirmer stehen und klingelte.
    Erkner fragte sich, ob die alte Frau wohl so verhutzelt aussah wie seine Großmutter; angesichts dessen, was ihm Inge am Telefon gesagt hatte, war Berger unauffällig mit der Hand an der Waffe auf dem Sprung.
    „Sie ist zwar alt, aber sie ist wahrscheinlich bewaffnet. Und sie hat nichts mehr zu verlieren. Also passt auf und bringt euch nicht wieder in einen Schlamassel, wenn ich nicht dabei bin.“
    Nichts geschah.
    Nachdem sie ein zweites Mal geklingelt hatten, bat Berger die Heimleiterin, die Wohnung mit dem Zweitschlüssel, den sie von allen Wohnungen für alle Fälle hatte, zu öffnen und draußen zu warten.
    Drinnen war es absolut still, und was Berger verblüffte – es roch überhaupt kein bisschen, wie es in Wohnungen alter Leute für gewöhnlich roch.
    „Hallo? Frau Lenz? Wir sind von der Polizei!“
    Wolfram Berger bekam keine Antwort.
    Sämtliche Fenster waren gekippt, gelbe Gardinen wehten wegen der offenen Wohnungstür leicht im Wind, freundliche Möbel auf hellem Parkett luden geradezu ein, sich in dem lichten Wohnzimmer mit den dicht bestückten Bücherregalen niederzulassen und zu lesen.
    Die Küche war penibel aufgeräumt, das Badezimmer glänzte und das Bett im Schlafzimmer war gemacht.
    Auf einem kleinen Beistelltisch vor dem Fenster lag ein Paket mit der Aufschrift: Iris Lenz: Vom Leben und Sterben.

Einundzwanzig
    Sie war es gewesen, die mich damals verführt hatte, die Tür nicht schnell wieder zu schließen, denn ich wusste, dass Hannes’ Herz für sie schlug. Sie war es, die zuschaute, wie Udo Erdmann sich mit vorgehaltenem Messer an Hannes zu schaffen machte, und stand neben Jürgen Knapp, der mich in Schach hielt. Und sie war es, die später den flachen Fotoapparat aus der Tasche geholt hatte.
    Ritschratschklick.
    Ritschratschklick.
    Ritschratschklick.
    Zwei Jahrzehnte verändern das Gesicht einer Frau, aber das Mädchen, das sie gewesen war, steckte noch immer in ihrem Lachen. Es hing noch immer unter der Decke, als die drei schon lange gegangen waren, glockenhell und unerbittlich.
    Mit vierzig lachte Erika Klinger, die nun Mangold hieß, nicht mehr ganz so blechern, aber immer noch von oben herab. Ein Lachen kann aus dem Herzen kommen und warm sein oder es nimmt seinen Anfang im Kopf und ist kalt. Das der Pfarrerin machte mich ebenso frösteln wie das der Siebzehnjährigen, die sie einst gewesen war. Vielleicht war es dieser Umstand, der mich keine Sekunde daran zweifeln ließ, dass Vergebung nicht möglich wäre.
    Von Schuld und Sühne predigte sie, dass Gott auch dem schlimmsten Sünder verzeihe, wenn er sich nur bekenne zu ihm.
    Und wann bekennt sich Gott zu seinen Schwächen? In Menschen wie ihr? Ich bin sicher, dass es sich genauso verhielt. Zum ersten Mal seit einem halben Jahrhundert betete ich wieder. Und setzte mich zu seiner Rechten, um zu richten.
    Ich schlich mich nicht von hinten an, ich wollte ihr in die Augen schauen, so wie ich es Jahre zuvor mit Udo Erdmann getan hatte. Das große Kirchenportal war offen, ich nahm es als Zeichen. Die kühle Luft schlug mir entgegen, und ich hoffte, dass meine Kraft in den Beinen reichen würde, den steinernen Weg zwischen den Bänken dorthin zurückzulegen, wo Licht brannte. Ich hatte sie in die Kirche hineingehen sehen und abgewartet. Ich wollte sie nicht vor aller Augen töten und am wenigsten im Beisein von Kindern, die auf dem Spielplatz tobten.
    Als ich die angelehnte Tür zu dem kleinen Raum öffnete, in dem sie stand, hatte sie mir den Rücken zugedreht. Sie schien nicht erschrocken über mein Eintreten, eher erstaunt. Wie Menschen, die dem Tod ins Auge sehen – am Ende können wir es doch nicht glauben, dass selbst wir gemeint sein könnten.
    Ich nahm ihre Entschuldigung nicht an und drückte zweimal ab. Einmal, damit sie umfiel, ein zweites Mal, um sicherzugehen. Es war kein großes Gefühl, eher eine Erschöpfung, die mich überkam. Mein rechter Arm schmerzte, denn die Schüsse versetzten mir heftige Rückstöße in die Schulter, in der ich seit Langem schon Arthrose habe, und mir war ein wenig schwindelig. Also nahm ich den kurzen Weg nach draußen durch die Hintertür und setzte mich auf eine
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