Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Töten Ist Ein Kinderspiel

Töten Ist Ein Kinderspiel

Titel: Töten Ist Ein Kinderspiel
Autoren: Corinna Waffender
Vom Netzwerk:
ist?
    Dann lesen Sie am besten gleich weiter: Ein Auszug aus Tod durch Erinnern von Corinna Waffender.
    Sie hatte nur noch wenige Meter Vorsprung und ihre Beine wurden immer schwerer. Mit jedem Schritt, der sie vorantreiben sollte, kam sein keuchender Atem näher. Es hatte keinen Sinn zu schreien, niemand würde sie in diesem abgelegenen Waldstück an der Grenze zu Frankreich hören. Es war ein Fehler gewesen, mit ihm hierher zu kommen. Sie hatte es gewusst und dennoch getan. Weshalb nur? Unter ihren Füßen knackten die Zweige, die tiefer hängenden Äste schlugen ihr ins Gesicht und sie lief um ihr Leben, dessen Ende wenige Meter weiter auf sie wartete.
    Kai senkte das Buch und blickte auf den kleinen See. In den letzten Wochen war sie öfter zum Lesen in den Park gekommen. Der Sommer hielt in der kleinen Hinterhauswohnung keinen Einzug. Doch es war nicht nur die deprimierende Stimmung in den schattigen Räumen mit den blutrot gestrichenen Holzböden. Sie hatte schon in schlimmeren Unterkünften gehaust, in engeren Küchen gesessen, in schlechteren Betten geschlafen. Das Bedürfnis, unter freiem Himmel zu sein, hatte mehr mit dem Gefühl zu tun, sich in ihren vier Wänden seltsam ungeschützt zu fühlen. Als ob sie hinter ihrer Wohnungstür auf ungebetene Gäste vorbereitet sein müsste. Das war der Grund gewesen, den Park als Treffpunkt vorzuschlagen. Ein Picknick, wie in alten Zeiten, sie würde Kaffee mitbringen. Später war es ihr unangemessen, fast zynisch vorgekommen, die Angelegenheit so betont locker zu verhandeln. Verhandeln? War es darum überhaupt gegangen? Das Gespräch hatte Kai viel mehr aufgewühlt, als sie erwartet hatte. Sie waren nicht laut geworden, sie hatten sich unterhalten wie zwei vernünftige, erwachsene Menschen, sogar das eine oder andere freundliche Wort war gefallen. Und doch, die Begegnung hatte Spuren hinterlassen. Natürlich. Auch wenn sie sich mit einem festen Händedruck verabschiedet hatten, war die Distanz geblieben. Sie begleiteten einander nirgendwohin, beide gingen am Ende wieder ihrer Wege, so allein, wie sie gekommen waren.
    Kai war tiefer in den Park hineingelaufen, hatte ihn ziellos durchquert und sich schließlich auf die Bank gesetzt und versucht zu lesen. Sie wollte nicht nachdenken. Noch nicht. Doch immer wieder schweiften ihre Gedanken von dem Krimi ab: Sie hatten auf der Wiese gesessen, und wer auch immer sie von Weitem gesehen hatte, wäre nicht im Traum darauf gekommen, worüber sie redeten. Reden mussten. Kai hatte zuerst nicht gewollt, aber dann hatte sie ihre Chance gewittert. Die Versuchung war zu groß gewesen. Unwillkürlich griff sie jetzt in ihre Tasche und tastete nach dem Umschlag. Startkapital für ein neues Leben. Längst fällige Schulden. Sie nahm die Scheine heraus, betrachtete sie und steckte das kleine Vermögen in die Fächer ihres Portemonnaies, das sich kaum mehr schließen ließ.
    Je länger sie das Buch aufgeschlagen in den Händen hielt, umso deutlicher fühlte sie ihre Erschöpfung. Als wäre der Krimi im Taschenformat aus Blei. So wie ihre Augenlider. Zweimal war sie trotz der inneren Unruhe vor Müdigkeit eingenickt und davon aufgewacht, dass sie sich nicht aufrecht halten konnte. Sie kannte das. Ihr Körper war ein Seismograf für das innere Gleichgewicht: Das schon tagelang in ihr schwelende Unbehagen vor der Verabredung, das eigenartige Wiedersehen und die aufgeräumte Unruhe danach, all das löste gerade ein Beben mittlerer Stärke in ihr aus, ließ ihre Kräfte schwinden. Sie legte das Buch neben sich auf die grün gestrichenen Holzlatten und strich sich mit den Händen über Arme und Beine, die schon zu schlafen schienen. Die eigenartige Taubheit in den Fingerspitzen und Zehen mahnte sie, wegen ihrer Kreislaufprobleme doch besser zum Arzt zu gehen, statt sich mit Notfalltropfen zu behelfen. Rescue remedy. Ihre Finger glitten zwischen die verstreuten Gegenstände in ihrem Rucksack, aber sie konnte das kleine Fläschchen zwischen Lippenstift und Schlüssel nicht ertasten. Mehr noch: Sie konnte nichts von dem, was sie zwischen ihren Fingern vermutete, greifen, denn ihre Hände versagten ihr den Dienst. Im selben Augenblick, in dem sie spürte, dass ihr auch die Kontrolle über ihre Arme entglitt, begann sich alles leicht zu drehen. Doch es war kein Schwindel, der sie erfasste, es war eher so, dass ihre Augen nicht mehr gehorchten. Sie wollte sich aufrichten, ihre Beine zitterten, aber sie rührten sich nicht vom Fleck. Sie saß
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher