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Tödlicher Steilhang

Tödlicher Steilhang

Titel: Tödlicher Steilhang
Autoren: Paul Grote
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langen Reise aus Breslau angekommen, sie saß mit Frau Wackernagel im Büro, die beiden tranken Kaffee und erzählten. Wie es aussah, waren die Frauen sehr vertraut miteinander.
    »Ist noch einer für mich da?«, fragte Georg gut gelaunt. Erst jetzt fiel ihm ein, dass er sich nie gefragt hatte, was Frau Wackernagel von ihm hielt. Er war viele Jahre Chef gewesen, und das fragte sich ein Chef nicht. Jetzt war er kein Chef mehr, jetzt war jede Hilfe, jede Handreichung freiwillig.
    Sie stand auf und ging zur Kaffeemaschine, sie brachte ihm gern den Kaffee und stellte ihm Frau Wozniak vor, als gehöre er zur Mannschaft. Die Polin nahm ihn jedenfalls so an, und niemand hatte ihm angekreidet, dass er sich in den letzten Tagen mehr um anderes als um das Weingut gekümmert hatte. Aber im Weinberg war es schöner, wie er im Doctorberg eben erst wieder festgestellt hatte. Er hatte das Gefühl, niemals und nirgends so gewesen zu sein, wie er war, er wusste gar nicht, wie er wirklich war, was er wirklich wollte. Es gab keinen Plan. Es gab nur Ideen, Wünsche, eine vage Hoffnung.
    Frau Wozniak war mit der Bahn angereist, ein Auto besaßen nur ihre Söhne, dafür arbeitete sie. Sie liebte ihre Kinder, sie erzählte von ihnen, als wenn sie klein wären, dabei hatten sie die dreißig längst erreicht.
    Als Klaus kam, war das Hallo groß, er ließ sich sogar ohne Protest die Wange streicheln, aber doch mit einem leicht sauren Blick zu Georg. Auch Bischof kam und reagiertestocksteif auf die Umarmung, sie nahm seine Allüren einfach nicht ernst, und er beteiligte sich gern an der Unterhaltung, war guter Laune, was sicher daran lag, dass er in den nächsten Tagen die ersten Trauben aus den Weinbergen geliefert bekam und im Keller schalten und walten konnte, wie er wollte.
    »Letztes Jahr hat er ständig am Lesegut rumgemeckert«, bemerkte Klaus respektlos, »bis sie hier«, er zeigte auf Frau Wozniak, »ihn gerade gesetzt hat.«
    »Aber es war richtig, was er gesagt hat«, merkte sie an. »Es waren zu viele Trauben mit Botrytis im normalen Lesegut, das haben wir sofort geändert. Wir trennen dieses Jahr genauer. Da kann er zeigen, ob er einen richtigen Botrytiswein machen kann, nicht wahr, mein Bischof?« Sie nannte ihn stets »mein Bischof«.
    »Wir haben in diesem Jahr kaum Botrytis«, meinte Klaus, und unerwartet stimmte ihm Bischof zu.
    Bei der Planung, wann die unterschiedlichen Lagen gelesen werden sollten, waren sich die beiden sogar einig geworden. Und nicht nur sie verband dieselbe Spannung: Wie würde das Resultat von einem Jahr Arbeit ausfallen? Die Lesemannschaft war beisammen, mit allen hatte man schon gearbeitet. Die Unterbringung war kein Problem, die kleinste Dachkammer wurde genutzt.

    Die Überraschung des Abends bestand darin, dass sowohl ein Wein von Thanisch Erben als auch von Wegeler auf den Tisch kam.
    »Ich möchte dir die Sterne nicht vorenthalten. Jetzt kennst du den Weinberg, du kennst seine Lage, wir hätten mal eine Beere probieren sollen, es hätte mich selbst interessiert, ob sie anders schmecken als meine. Wenn man nicht weiß, was möglich ist, kann man weder den Weg noch sein Ziel bestimmen.«
    Darüber kann man ewig meditieren, dachte Georg undwunderte sich, wie so ein Wort in seinen Kopf gelangte. Er sah Susanne fragend an.
    »Worauf beziehst du das?«
    »Was für den Wein gilt, gilt auch für anderes«, antwortete sie vielsagend und lächelte. »Jetzt probiere endlich.«
    Sie schenkte ein, der Wein stand nur zwei Zentimeter hoch im Glas, es waren Gläser mit weitem Boden, mit einer großen Oberfläche, die sich nach oben verjüngenden Wände bewahrten den Duft.
    »Wird das eine Prüfung?«
    »Hast du Angst – vor mir? Probiere …«
    Ein wenig schon, gab er im Stillen zu, aber nicht mehr so viel wie anfangs, und er glaubte, dass es bei ihr ähnlich war. Vier Gläser standen auf dem Tisch.
    »Sehen, riechen, schmecken!« Susanne gab die Reihenfolge vor. Georg kannte das bereits. Dreißig, vierzig oder fünfzig Weine hatte er probiert, seit er hier war, vielleicht auch mehr. Die Unterschiede merkte er deutlich, aber den Wein zu beschreiben fiel ihm immer noch schwer. Leichter fiel es ihm, wenn er zwei zum Vergleichen vor sich hatte, so wie jetzt. Er konnte auf die Unterschiede eingehen.
    Der von Thanisch war eine trockene Spätlese aus dem letzten Jahr mit 12,5 Volumenprozent Alkohol. Die Dichte des Weins schmeckte er bereits beim Schnuppern, sie wiederholte sich im Mund. Er empfand diesen Riesling
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