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Tödlicher Steilhang

Tödlicher Steilhang

Titel: Tödlicher Steilhang
Autoren: Paul Grote
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als typisch für die Rebsorte, reifen grünen Apfel meinte er herauszuriechen. Und er glaubte einmal mehr, zu begreifen, was Schmelz im Wein bedeutete. Susanne nannte es Textur. Nichts störte, auffällig war der Anklang an eine feine Salzigkeit. Verwirrend hingegen war ein anderes Aroma.
    »Nuss?«, fragte er. »Kann es sein, dass ich was von einer Haselnuss rieche?«
    »Wenn du es riechst, ist es so, aber ich kann dich beruhigen, ich rieche es auch. Mach weiter.« Susanne schob ihm das Glas mit dem Wegeler-Wein zu.
    Georg empfand ihn als intellektuell, dieses Wort kam ihm in den Sinn, der Wein war nicht alltäglich. Hier waren die Aromen gelber, der Apfel reifer, der Duft intensiver  – nach Honig? Er empfand diesen Wein als mit mehr Volumen ausgestattet, er hatte eine größere Fülle im Mund, aber es war nur ein halbes Prozent mehr an Alkohol.
    »Der dient als Geschmacksträger«, das hatte Bischof erklärt. Die feine Säure, nicht zu viel, nicht zu wenig, empfand er selbst. Beides waren Weine, die Lust aufs Trinken machten.
    »Prüfung bestanden.« Susanne gratulierte. »Die Anlagen jedenfalls sind vorhanden, der Geschmackssinn ausbaufähig, die Wahrnehmung noch etwas ungenau, da fehlt die Übung. Die Respektlosigkeit den großen Namen gegenüber schärft die Urteilsfähigkeit. Auch der Meister findet erst mit der Zeit zur Reife.«
    Ihr Lächeln war schöner als jede Urkunde.
    »Wie kommen die Unterschiede zustande? Im Doctorgarten hast du erklärt, dass die Parzellen der beiden Besitzer nebeneinander verlaufen.«
    Unten, wo mehr Wasser im Boden war, entwickelten sich die Trauben anders als oben mit mehr Trockenheit, sie wurden prall und standen dichter, Klaus hatte ihn darauf aufmerksam gemacht. Wie lange würde es dauern, bis er die Unterschiede selbst beurteilen und darauf bauen konnte?
    »Unterschiede entstehen dadurch, dass der eine Winzer früher liest, der andere später und die Weine im Keller anders ausgebaut werden. Terroir: Das bedeutet nicht nur Boden und Klima, das ist auch die Hand der Winzer, ihre Idee vom Stil. Der eine setzt auf spontan vergorene Weine, der andere fördert die Gärung durch Zugabe spezieller Hefe, man kann den Wein auf der Maische stehen lassen oder die Trauben nach dem Mahlen sofort pressen und im Holzfass vergären, andere ziehen Edelstahltanks vor.«
    »Und wovon hängt es ab, für welche Methode man sich entscheidet?«
    »Von deinem Wissen, von deinem Gespür, von deiner Nase, von Mode, Erziehung und Geschmack, vom Weinberg, von den Trauben, den Klonen, vom Wetter, dem Jahr, von den Ansichten deiner Mitarbeiter, deiner Stimmung …«
    »Dann ist der Wein von allem, was es im Leben gibt, durchdrungen?«
    »Winzerin ist man immer, nicht nur vor Feierabend. Man muss es wollen, sonst ist man verloren.«
    Und auch diejenigen, die mit einem leben, dachte Georg und erinnerte sich daran, was sie über ihre Vergangenheit erzählt hatte.
    »Aber lassen wir das. Eben hast du gesagt, dass dir beide Weine Lust aufs Weitertrinken machen. Mir auch.« Sie stand auf. »Sollen wir das nicht lieber drüben bei dir tun? Hier höre ich immer mit einem Ohr nach den Kindern …«

    Am Morgen lag dichter Nebel über der Mosel. In der grauen trägen Suppe konnte sich jedermann unbemerkt bis auf zwei Meter nähern. Autos hörte Georg, bevor er sie sah, wenn sich zwei milchige Lichtpunkte im Schritttempo näherten. Er dachte an Tilles Freunde und ihre Rachegelüste. Aber der Nebel half ihm, sie würden ihn nicht finden. Susanne hatte den Nebel vorhergesagt, er hatte sich bereits ausgebreitet, als er sie morgens gegen fünf Uhr nach Hause begleitet hatte. Wenn ihre Kinder aufwachten, wollte sie dort sein. Sie sollten Zeit haben, sich an einen neuen, bisher nie da gewesenen Zustand zu gewöhnen. Besonders Karstens negative Reaktion auf Georg bereitete ihr Sorge.
    »Wenn es nach Kilian ginge, könntest du sofort einziehen«, hatte sie gesagt und ihn an der Haustür wieder umarmt, »aber Karsten meint, noch eine Erinnerung an seinen Vater zu haben. Leider halten sich falsche Ideale am längsten.«
    Den Vormittag über wurde auf dem Weingut Stefan Sauter erneut alles überprüft, was zur Lese benötigt wurde. Einerder Hottenträger hatte sich krankgemeldet. Das bedeutete, dass Georg, statt Trauben zu schneiden, die schweren Hotten mit dem Lesegut den Berg runterschleppen musste. Er war von allen der kräftigste. Es war eine Arbeit, die Knie und Rücken extrem belastete.
    Als sie beim Mittagessen saßen,
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