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Toedlicher Blick

Titel: Toedlicher Blick
Autoren: John Sandford
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für die kommende Saison waren hüftlang, und er hatte ein schönes Exemplar bei Neiman Marcus gesehen: sechshundertfünfzig Dollar im Angebot, mit Wollfutter. Zwei Kaschmirpullover, zwei Hosen und dazu passende Schuhe würden weitere zweitausend kosten. Er war nur Sekunden davon entfernt gewesen, ungefähr diese Summe in die Finger zu kriegen …
    War Sex wichtiger, besser als Kaschmir? Er war sich nicht sicher. Es war durchaus möglich, grübelte er, dass Ellen Barstad, was auch immer sie im Bett zu bieten bereit war, niemals Armani-Qualität erreichen würde.
    James Qatar war einen Meter dreiundachtzig groß und schlank. Er hatte eine Stirnglatze und einen schmalen blonden Kinnbart, den er kurz getrimmt hielt. Er trug gerne einen Dreitagebart im übrigen Gesicht und ein gestreiftes Hemd mit offenem Kragen – das Image des geschäftigen Intellektuellen. Seine Gesichtshaut war hell und makellos, mit Lachfalten in den Mundwinkeln und dem Anflug von Krähenfüßen in den Augenwinkeln. Er hatte schmale Hände mit langen Fingern, hielt sich durch tägliche Übungen an einem Rudergerät fit, im Sommer auch in einem echten Ruderboot. Zwar hielt er sich nicht für einen tapferen Mann, verfügte aber über einen auf Willenskraft basierenden Mut. Er tat stets, was er tun wollte – oder tun musste.
    Die Lachfalten um seinen Mund stammten tatsächlich vom Lachen. Er war nicht gerade das, was man einen fidelen Menschen nennen konnte, aber er hatte sich ein lang gezogenes rollendes Lachen angewöhnt. Er lachte über Witze, über geistreiche Bemerkungen, über Zynismen, über Seelenqualen, über Grausamkeiten, über das Leben, über den Tod. Vor Jahren hatte er einmal eine seiner Studentinnen in seinem Büro begrapscht, hatte dazu gelacht, hatte erwartet, dass sie willig auf seine Annäherungsversuche eingehen würde, hatte überlegt, ob er sie töten sollte, wenn sie es tat, aber das Mädchen hatte entgegen seiner Erwartung anders reagiert. Sie hatte gesagt: »Mit diesem blöden Lachen können Sie mich nicht täuschen, Sie Mistkerl. Sie haben gemeine kleine Augen, wie ein Schwein. Ich kann die Gemeinheit darin lesen.«
    Auf dem Weg zur Tür hatte sie sich noch einmal umgedreht – und dabei ihre hübschen Titten gezielt im Profil zur Schau gestellt – und gesagt: »Ich komme nicht mehr zu Ihren Vorlesungen, aber Sie sollten mir tunlichst ein A als Note geben. Wenn Sie verstehen, was ich meine.« Er hatte, ein wenig bedauernd, sein rollendes Lachen ausgestoßen, sie mit seinen gemeinen Augen angestarrt und gesagt: »Bis jetzt habe ich Sie nicht besonders gemocht. Aber jetzt mag ich Sie sehr.«
    Er hatte ihr das A gegeben. Sie hatte es sich wirklich verdient.
    Qatar war Kunsthistoriker, Professor an der St. Patrick- Universität und Autor des Buches
Keinesfalls leichte Kost – die Malerei im Mittleren Westen 1966–1990.
Das Werk war in der Zeitschrift
Chicken Little,
dem vierteljährlich erscheinenden Fachblatt für postmoderne Kunst, lobend rezensiert worden. Auch sein Werk
Niveau in der Schlichtheit: Indianische Kubisten im Red River Valley 1915–1930
hatte Anklang gefunden; der Rezensent im
Forum,
der in Fargo erscheinenden Fachzeitschrift, hatte es »wegweisend« genannt. Beim Studium hatte er zunächst die Fachrichtung Bildende Kunst belegt, war dann aber zur Kunstgeschichte übergewechselt, nachdem sein künstlerisches Talent kühl und nüchtern mit »gut, aber nicht überragend« beurteilt worden war – und er seinerseits kühl und nüchtern die Möglichkeiten des Geldverdienens als durchschnittlicher Künstler ausgelotet hatte.
    Er hatte es sich fortan mit der Konzentration auf seine wahren Interessen wohl ergehen lassen: Kunstgeschichte, blonde Frauen, Wein, Mord und sein Heim, das er mit handgefertigten Möbeln ausgestattet hatte. Und dann, als die digitale Fotografie aufgekommen war, hatte er es mit echter Kunst verschönt – mit eigenen Kunstwerken.
    Kunstwerken ganz besonderer Art.
    Die Universität stellte Computer, Internet-Zugang, Videoprojektoren und Dia-Scanner zur Verfügung – alle Hilfsmittel, die ein Kunsthistoriker benötigt. Er fand heraus, dass er Fotos einscannen, sie am Computer mit einem entsprechenden Programm bearbeiten und so vieles von ihrer verwirrenden Komplexität ausmerzen konnte. Und dann konnte er die Fotos auf ein Blatt Zeichenpapier projizieren und sie ganz einfach nachzeichnen.
    Das wurde in Künstlerkreisen nicht gerade als kreatives Schaffen betrachtet, und so behielt er seine
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