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Toedlicher Blick

Titel: Toedlicher Blick
Autoren: John Sandford
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hatte er siebzehn Bildattacken gestartet. Der Kick, den sie ihm jeweils verschafften, war jedoch nicht so aufwühlend wie bei einem Mord. Es fehlte die eigene Aktivität und die emotionale Intensität, aber dennoch, es machte ihm großes Vergnügen. Er setzte sich in seinen altmodischen Schaukelstuhl, schloss die Augen und sah die Frauen vor sich, wie sie die Briefe öffneten … Und sah dann auch diese Frauen vor sich, wie sie gegen das Seil um den Hals ankämpften …
    Er hatte die Bekanntschaft mit Barstad wegen dieser seiner Bilder angestrebt. Er war ihr in einem Buchladen begegnet, in dem sie arbeitete; hatte ihre Aufmerksamkeit erregt, als er ein Buch über die Herstellung digitaler Drucke kaufte. An der Kasse hatten sie ein paar Minuten miteinander geplaudert, dann einige Abende später wieder, als er im Buchladen in Kunstbänden geblättert hatte. Sie sei Stoff-Designerin, hatte sie gesagt, und sie benutze einen Computer, um Quilt-Muster zu generieren. Das Spiel des Lichtes sei das Wichtigste bei ihrer Kunst, hatte sie gesagt:
Ich möchte, dass meine Quilts wirken, als liege Licht aus den Fenstern auf ihnen, selbst in Räumen, in denen es keine Fenster gibt.
Dieses Gespräch über Kunst hatte zum gemeinsamen Besuch eines Cafés geführt und zu seinem Vorschlag, sie solle Modell für ihn sitzen.
    O nein, hatte sie gesagt, sie würde niemals nackt Modell sitzen. Das sei ja nicht erforderlich, war seine Antwort gewesen. Er sei Kunsthistoriker und bemühe sich nebenher auch als freischaffender Künstler, fertige Zeichnungen an; er wolle nur ein paar Gesichtstudien und Fotos von ihr machen, um sie dann digital im Computer zu bearbeiten. Sie hatte schließlich zugestimmt, später dann sogar einen Teil ihrer Kleider ausgezogen, von ihm abgewandt auf einem Schemel sitzend, und die wunderschönen Linien ihres Rückens hatten sich in einem zerwühlten Laken um ihren kleinen runden Hintern verloren. Die Zeichenstudien und Fotos waren gut gelungen, aber erst zu Hause, an seinem Computer, genoss er in vollen Zügen die Fantasiebilder, die er aus diesem Material gestaltete …
    Er hatte sie gezeichnet, sie zum Essen eingeladen und an diesem trostlosen Winternachmittag mit ihr geschlafen; und er hätte sie beinahe getötet, weil sie nicht den Bildern entsprach, die er mit Hilfe ihrer Fotos geschaffen hatte.
    Am Tag nach dem Treffen mit Barstad hörte er die unverwechselbaren Schritte der flachen Schnürschuhe von Charlotte Neumann sich zielstrebig der Tür zu seinem Büro nähern. Neumann war Professorin für Kunstgeschichte, ordinierte Priesterin der Episkopalkirche und Autorin des Buches
Modalitäten in der modernen Kunst: Frauen/Sünde, Sünde/Frauen – unheilvolle Verstrickungen
. Die erste Auflage in Höhe von zehntausend Exemplaren war bereits kurz nach Erscheinen vergriffen. Und nicht zuletzt war Neumann in ihrer Hauptfunktion die Verwaltungsdirektorin der Fakultät. Sie war eine große, stets missgelaunt wirkende Frau mit übergroßer Nase. Sie klopfte nicht an, kam einfach herein und sagte: »Ich brauche Ihren Kostenvoranschlag für das nächste Semester. Heute Nachmittag.«
    »Der Termin ist doch erst am
nächsten
Mittwoch, oder?« Er runzelte die Brauen, stand auf und hielt seine Kaffeetasse mit den langen Fingern beider Hände umspannt. Er hatte den stahlblauen Hermes-Seidenschal noch um den Hals drapiert, nur den Mantel abgelegt, und mit dem Bücherregal hinter sich, der Porzellantasse in den Händen und dem Schal als markante Betonung seines Gesichtes musste er ein absolut eindrucksvolles Bild abgeben, wie er annahm. Aber bei Neumann war das reine Verschwendung, wie er dann sofort realisierte; sie war eine eingefleischte Puritanerin.
    »Ich habe mich entschlossen, in diesem Jahr das Durcheinander des vergangenen Jahres zu vermeiden und die Unterlagen eine Woche früher anzufordern, um für die Ausmerzung von Fehlern mehr Zeit zu haben«, sagte sie und ließ keinen Zweifel daran, dass sie das Wort »Fehler« im Sinne eines päpstlichen Inquisitors benutzte. Im vergangenen Jahr hatte Qatar den Termin um zwei Wochen überschritten.
    »Nun, das ist einfach unmöglich«, sagte Qatar. »Wenn Sie mich wenigstens vorab unterrichtet hätten …«
    »Sie haben offensichtlich das Mitteilungsblatt der Fakultät in der vergangenen Woche nicht gelesen«, fauchte sie. Jetzt habe ich ihn am Wickel, dachte sie. Er würde in der Kürze der Zeit keine fehlerfreie Vorlage liefern können, und sie würde ihm eine schriftliche
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