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Toedlicher Blick

Titel: Toedlicher Blick
Autoren: John Sandford
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Experimente für sich. In seinen Träumen stellte er sich vor, wie er eines Tages einer überwältigten New Yorker Kunstszene ein umfassendes Œuvre sensationeller Zeichnungen präsentieren würde.
    So einfach und harmlos war es anfänglich gewesen … Ein Traum. Sein geschultes Auge hatte ihm verraten, dass die ersten Zeichnungen nur mittelmäßig waren; als er jedoch immer geschickter und fachmännischer mit den verschiedenen Möglichkeiten der Bildbearbeitung und mit der Zeichenfeder selbst umzugehen gelernt hatte, wurden die Zeichnungen immer makelloser und klarer. Sie wurden richtig
gut
. Noch immer nicht gut genug, ihm den Lebensunterhalt zu sichern, aber gut genug, seine anderen enthusiastischen Träumereien anzufachen …
    Er konnte ein Nacktfoto von einer der zahllosen Pornoseiten im Internet herunterladen, es bearbeiten, ausdrucken, projizieren und ein Fantasiebild kreieren, das sowohl seinem Sinn für Ästhetik als auch seinem Besitzerdrang entsprach.
    Der nächste Schritt war unvermeidbar. Nach einigen Wochen Arbeit mit entsprechenden Fotos stieß er darauf, dass er das Gesicht eines Menschen von einem Foto auf ein anderes Foto übertragen konnte. Er beschaffte sich eine unauffällige Fuji-Digitalkamera und fing an, heimlich Fotos von Frauen auf dem Universitätsgelände zu machen.
    Von Frauen, die er begehrte. Er scannte jeweils das Gesicht einer Frau in den Computer, setzte es mit Hilfe des Bildbearbeitungsprogramms auf einen ihm zusagenden Körper aus den Pornoseiten des Internets und fertigte dann eine Zeichnung an. Die Zeichnung war erforderlich, um die unvermeidlichen und meist unpassenden Hintergrundelemente sowie die unterschiedlichen Auflösungsgrade des Filmmaterials auszumerzen. Erst die Zeichnung ergab schließlich ein
Ganzes
.
    Ein Objekt seiner Begierde …
    Qatar begehrte Frauen. Blonde Frauen mit einer bestimmten Gestalt und Körpergröße. Er konnte sich auf solche Frauen gedanklich konzentrieren und seiner Fantasie, was er mit ihnen anstellen würde, freien Lauf lassen. Einige der Frauen kannte er gut, andere gar nicht. In einem Fall hatte er sich in seiner Fantasie eine intensive sexuelle Beziehung mit einer Frau ausgemalt, die er nur ein einziges Mal für wenige Sekunden gesehen hatte. Sie war auf dem Parkplatz eines Bagel-Shops in ihren Wagen geschlüpft, und das Aufblitzen langer Beine in Nylonstrümpfen mit der Andeutung von Strapsen hatte ihn völlig in Bann geschlagen. Er hatte wochenlang von ihr geträumt.
    Aber die neuen Möglichkeiten der Bildgestaltung am Computer waren noch viel besser als die bloße gedankliche Konzentration auf imaginäre Bilder. Diese Bildbearbeitung erlaubte es ihm, sich allen möglichen Fantasien hinzugeben.
Allen
. Er konnte jede Frau, die er begehrte, auch besitzen, und das auf jede gewünschte Weise. Diese Entdeckung erregte ihn fast so sehr wie das Morden. Und dann, eher als Nebenprodukt, entdeckte er die Möglichkeit, seine Kunst als machtvolle Waffe einzusetzen.
    O ja …
    Beim ersten Mal setzte er diese Waffe fast gedankenlos ein, und zwar bei einer Soziologie-Professorin an der Universität von Minnesota, die vor Jahren einmal seine Annäherungsversuche abgewiesen hatte. Er schoss eines Tages aus dem Hinterhalt ein Foto von ihr, als sie auf dem Campus über die Fußgängerbrücke zum Studentenwohnheim ging. Er hatte ihr nicht etwa aufgelauert – es war ein rein zufälliges Zusammentreffen.
    Nach einem Dutzend verschiedener Entwürfe hatte er es geschafft, ihr Gesicht mit brillanter Ähnlichkeit zu Papier zu bringen; dann hatte er es mit der derben gynäkologischen Aufnahme eines Frauenkörpers aus dem Internet kombiniert. Die zum Schluss gefertigte Gesamtzeichnung zeigte die laszive perspektivische Vereinfachung, die er während seines Kunststudiums nie richtig getroffen hatte.
    Er würde der Frau das Foto schicken.
    Als er die Vorbereitung dafür traf, kam er auf den Gedanken, er könnte damit ein – wie auch immer geartetes – Verbrechen begehen. Qatar hatte einige Erfahrungen auf dem Gebiet des Verbrechens, und er war sich bewusst, welche Vorsicht man dabei walten lassen musste. Er machte eine neue Kopie des Bildes und schob es in einen Umschlag, wobei er sorgfältig darauf achtete, keine Fingerabdrücke zu hinterlassen.
    Als er den Brief abgeschickt hatte, unternahm er nichts weiter. Seine Fantasie rief verschiedene Versionen ihrer Reaktion beim Öffnen des Briefes wach, und das reichte ihm.
    Nun ja, nicht ganz. In den letzten drei Jahren
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