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Gilde der Jäger: Engelsdunkel (German Edition)

Gilde der Jäger: Engelsdunkel (German Edition)

Titel: Gilde der Jäger: Engelsdunkel (German Edition)
Autoren: Nalini Singh
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Stille
    Jason wusste nicht, wie lange er sich schon in diesem dunklen Loch im Boden versteckt hielt, in das seine Mutter ihn mit der Ermahnung gedrängt hatte, still zu sein. Er wartete schon so lange. Nicht einmal, als sein Magen vor Hunger schmerzte, war er hinausgekrochen. Aber sie war nicht wiedergekommen, wie sie es versprochen hatte. Seine Flügel waren in der Enge des Ortes geknickt worden und taten ihm weh, sein Gesicht war nass von Tränen.
    Sie wusste, dass er die Dunkelheit hasste. Warum hatte sie ihn in dieses dunkle Loch geschickt?
    Er war mit einer klebrigen Feuchtigkeit bedeckt, die von oben durch die Bodendielen getropft war und deren schwerer, satter Geruch in der Luft hing. Von diesem Geruch wurde ihm übel, und er wusste, er konnte nicht länger bleiben, auch wenn seine Mutter über seinen Ungehorsam enttäuscht wäre. Er streckte seine steifen Glieder, soweit das in dem beengten Raum möglich war; seine Flügel waren noch immer zusammengedrückt. Dann drückte er gegen die Falltür, doch sie gab nicht nach.
    Er schrie nicht. Er hatte gelernt, niemals zu schreien.
    »Du darfst kein Geräusch machen, Jason. Versprich es mir.«
    Er stemmte die Füße in die Erde und schob und schob und schob, bis am Rand ein winziger Spalt trüben Lichts zu sehen war. Über der Tür lag eine handgewebte Matte, dünn genug, um das Sonnenlicht nicht ganz zu schlucken. Etwas Schweres blockierte die Falltür, aber er schaffte es, die Finger unter die Kante zu zwängen und die Matte zu berühren. Beim Weben dieser Matte hatte er seiner Mutter geholfen, nachdem sie gemeinsam die Fasern der Flachspflanzen zusammengetragen hatten. Sie fühlte sich rau an seinen Fingern an, als er diese in den Spalt schob. In dem Moment fiel die Falltür schmerzhaft auf seine Handgelenke, aber er wusste, dass seine Knochen nicht brechen würden – seine Mutter hatte ihm gesagt, dass er ein starker Unsterblicher und seine Macht schon jetzt weiter entwickelt sei als ihre an ihrem hundertsten Geburtstag.
    »So stark, mein kleiner Junge. Das Beste von uns beiden.«
    Er wusste nicht, wie lange er gebraucht hatte, um auch die andere Hand unter den Rand der Falltür zu zwängen und sich in dem Versteck umzudrehen – wobei er sich die Haut an den Handgelenken aufschürfte –, bis er schließlich die Kante zu fassen bekam und sie nach oben drückte. Er wusste nur, dass er nicht aufgeben wollte und sich deshalb fest genug dagegenstemmte, um das, was die Tür blockierte, zusammen mit der Matte zur Seite zu schieben. Die Tür öffnete sich mit einem dumpfen Schlag, als wäre sie auf etwas Weichem gelandet. Schwer atmend und mit schmerzenden Armen musste er sich eine Weile ausruhen, ehe er versuchen konnte, hinauszuklettern. Doch selbst dann rutschten seine Hände ab, weil sie feucht von dem Blut waren, das aus seinen zerschundenen Handgelenken getropft war.
    Er wischte sie an der Hose ab und griff abermals nach der Kante … und da fiel das Sonnenlicht, das durch das Deckenfenster fiel, auf seine Hände.
    Er erstarrte und musste an die dunkle, dicke Flüssigkeit zurückdenken, die in dem Verschlag auf ihn getropft war. Sie war verkrustet und getrocknet und blätterte wie eine Art Rost von seiner Haut ab. Nur Rost, hatte er sich einzureden versucht, es ist nur Rost. Aber jetzt konnte er sich nichts mehr vormachen, wie er es in der Dunkelheit getan hatte. Es war Blut, das seine Hände, sein Haar und sein Gesicht bedeckte und die Rückseiten seiner Flügel steif machte. Es war Blut, das durch die Matte und die Holzbohlen in dieses geheime Versteck gesickert war, das seine Mutter für ihn angelegt hatte. Es war Blut, das seine Nase mit dem Geruch nach Eisen füllte, als er in stockenden Atemzügen nach Luft rang.
    Blut, das wie Wasser geflossen war, nachdem die Schreie verstummt waren.
    »Was auch immer du hörst, du darfst keinen Laut von dir geben. Versprich mir das, Jason. Versprich es mir.«
    Zitternd zwang er sich, den Blick von dem Rost, der kein Rost war, zu lösen, stemmte sich durch die Luke nach oben und schloss die Tür mit vorsichtigen Bewegungen – und abgewandtem Blick –, damit sie kein Geräusch machte. Dann richtete er sich auf und wandte den Blick nicht von der Wand vor sich. Er wollte sich nicht umdrehen und sehen, was auf der anderen Seite lag. Er wollte nicht sehen, was er von der Falltür hinuntergeschoben hatte. Aber auch die Wand vor ihm war mit diesem Rost bespritzt, der kein Rost war. Getrocknet von der Sonne, die durch das
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