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Todsünde

Todsünde

Titel: Todsünde
Autoren: Tess Gerritsen
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gewaltsames Eindringen?«
    »Nein, aber es dürfte auch nicht allzu schwierig gewesen sein, auf das Grundstück zu gelangen. Die Mauern sind ganz mit Efeu überwuchert – da kann man mühelos drüberklettern. Und es gibt auch noch eine Hinterpforte, die auf ein freies Feld führt, wo die Nonnen ihre Gärten haben. Der Täter könnte auch auf diesem Weg eingedrungen sein.«
    »Fußspuren?«
    »Hier drin gibt’s ein paar. Aber draußen dürfte so ziemlich alles zugeschneit sein.«
    »Wir wissen also nicht, ob er tatsächlich eingebrochen ist. Er könnte auch durch den Haupteingang eingelassen worden sein.«
    »Es ist ein strenger Orden, Doc. Normalerweise lassen sie hier niemanden rein, bis auf den Pfarrer, der die Messe liest und den Nonnen die Beichte abnimmt. Und dann ist da noch die Frau, die ihnen im Haushalt hilft. Sie darf ihre kleine Tochter mitbringen, wenn sie keinen Babysitter findet. Aber das war’s dann auch schon. Sonst kommt ohne Erlaubnis der Äbtissin niemand hier rein. Und die Schwestern müssen drin bleiben. Sie dürfen das Kloster nur verlassen, um zum Arzt zu gehen, oder aus dringenden familiären Gründen.«
    »Mit wem haben Sie bis jetzt gesprochen?«
    »Mit der Äbtissin, Mutter Mary Clement. Und mit den beiden Schwestern, die die Opfer gefunden haben.«
    »Was haben die Ihnen erzählt?«
    Rizzoli schüttelte den Kopf. »Nichts gesehen, nichts gehört. Ich bezweifle auch, dass wir von den anderen sehr viel erfahren werden.«
    »Wieso?«
    »Haben Sie denn nicht gesehen, wie alt die alle sind?«
    »Das heißt doch nicht, dass sie nicht ihre fünf Sinne beisammen haben.«
    »Eine sitzt nach einem Schlaganfall im Rollstuhl, und zwei andere haben Alzheimer. Die meisten schlafen in Zimmern ohne Fenster zum Hof, also werden sie kaum irgendwas gesehen haben.«
    Zunächst beugte Maura sich nur über Camilles Leiche, ohne sie zu berühren. Sie gönnte der Toten einen letzten Moment der Würde. Jetzt kann dir nichts mehr etwas anhaben, dachte sie. Sie begann den Schädel abzutasten und fühlte, wie die losen Knochenfragmente unter der Haut aneinander rieben. »Es waren mehrere Schläge. Am Scheitel und am Hinterkopf«
    »Und das blau angelaufene Gesicht? Sind das nur Totenflecke?«
    »Ja. Und sie lassen sich nicht wegdrücken.«
    »Die Schläge kamen also von hinten und von oben.«
    »Der Täter war vermutlich größer als sie.«
    »Oder sie hat am Boden gekniet, und er hat direkt vor ihr gestanden.«
    Mauras Hände verharrten reglos auf dem kühlen Fleisch der Toten. Vor ihrem inneren Auge sah sie die junge Nonne vor ihrem Mörder knien, sah die brutalen Schläge auf ihren gesenkten Kopf niederfahren, und das erschütternde Bild ließ sie innehalten.
    »Was ist das nur für ein Untier, das unschuldigen Nonnen den Schädel einschlägt?«, fragte Rizzoli. »Was ist bloß los mit dieser beschissenen Welt?«
    Rizzolis Ausdrucksweise ließ Maura zusammenfahren. Sie konnte sich zwar nicht erinnern, wann sie zuletzt eine Kirche betreten hatte, und sie hatte schon vor Jahren aufgehört, an Gott zu glauben, doch solche lästerlichen Worte an einem geweihten Ort empfand sie immer noch als unpassend – so tief saßen die Regeln, die man ihr als Kind eingebläut hatte. Selbst heute noch, da Geschichten von Heiligen und Wundern für sie nur noch Hirngespinste waren, würde ihr im Angesicht des Kreuzes niemals ein Fluch über die Lippen kommen.
    Aber Rizzoli war so wütend, dass es ihr völlig gleichgültig war, welche Worte aus ihrem Mund hervorsprudelten, geweihter Ort hin oder her. Ihre Frisur war noch zerzauster als sonst, eine wilde schwarze Mähne, in der geschmolzene Schneeflocken glitzerten. Die blasse Haut spannte sich über scharf hervortretende Wangenknochen, und ihre Augen funkelten vor Wut wie glühende Kohlen im Halbdunkel der Kapelle. Gerechter Zorn war immer schon Jane Rizzolis Lebenselixier gewesen, das, was sie dazu trieb, Ungeheuer in Menschengestalt zu jagen. Heute jedoch schien ihre Wut zur Fieberglut gesteigert, und ihr Gesicht war schmaler als sonst, als ob das Feuer sie nun von innen verzehrte.
    Maura wollte es nicht noch weiter schüren. Sie bemühte sich, mit unbewegter Stimme zu sprechen, ihre Fragen nüchtern zu formulieren. Ganz die Wissenschaftlerin, der es um Fakten und nicht um Emotionen zu tun war.
    Sie fasste Schwester Camilles Arm und prüfte, ob das Ellenbogengelenk sich beugen ließ. »Es ist schlaff. Keine Totenstarre.«
    »Also weniger als fünf oder sechs Stunden?«
    »Es ist
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