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Todsünde

Todsünde

Titel: Todsünde
Autoren: Tess Gerritsen
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Tür auf.
    Ein greller Lichtblitz traf ihre Augen, und sie erstarrte in der Bewegung, während hinter ihr die Tür mit einem leisen Seufzen ins Schloss fiel. Sie blinzelte und wartete, bis das Nachbild verschwunden war, das sich in ihre Netzhäute eingebrannt hatte. Als sie wieder klar sehen konnte, erblickte sie Reihen von Holzbänken, weiß getünchte Wände und – am anderen Ende der Kapelle – einen Altar, über dem ein riesiges Kruzifix hing. Es war ein kalter, schmuckloser Raum, dessen Atmosphäre durch die Buntglasfenster, die nur trübe Schlieren von Licht einließen, noch zusätzlich verdüstert wurde.
    »Stopp – passen Sie bitte auf, wo Sie hintreten!«, sagte der Fotograf.
    Maura blickte auf den Steinboden zu ihren Füßen und sah Blut. Und Fußabdrücke – ein chaotisches Gewirr von Spuren, dazwischen medizinische Abfälle: Spritzenhüllen und aufgerissene V erpackungen. Die Hinterlassenschaften eines Notarztteams. Aber keine Leiche.
    Sie ließ den Blick in einem weiteren Radius schweifen und erfasste das von Fußabdrücken verschmutzte Stück weißen Stoffs im Mittelgang, die roten Spritzer auf den Bänken. Es war so kalt in dem Raum, dass sie ihren eigenen Atem sehen konnte, und die Temperatur schien noch weiter zu sinken – die Kälte drang ihr bis ins Mark, als sie die Reihe von Blutflecken sah, die sich über die Bänke hinzog, und sofort begriff, was hier geschehen war.
    Der Fotograf knipste eifrig weiter, und jeder Blitz war wie eine Attacke auf Mauras Augen.
    »He, Doc!« Hinter den Bänken in der Nähe des Altars tauchte ein dunkler Haarschopf auf. Detective Jane Rizzoli richtete sich auf und winkte ihr zu. »Das Opfer ist hier hinten.«
    »Was ist denn mit dem Blut hier an der Tür?«
    »Das stammt von dem zweiten Opfer, Schwester Ursula. Die Sanis haben sie ins St. Francis gebracht. Dort im Mittelgang ist noch mehr Blut, und da sind auch Fußabdrücke, die wir gerne sichern würden, also gehen Sie besser links um die Bänke herum und bleiben ganz dicht an der Wand.«
    Maura zog rasch ein Paar Überschuhe aus Plastik an und ging dann vorsichtig an der Wand entlang nach vorne. Erst als sie die vorderste Bank passiert hatte, erblickte sie die Leiche der Nonne. Sie lag auf dem Rücken, und der Stoff ihres Ordensgewands war wie eine dunkle Lache, die in einen noch größeren, blutroten See überging. Beide Hände steckten in Plastikhüllen, die verhindern sollten, dass mikroskopische Spuren verwischt wurden. Maura registrierte mit einem leisen Schock, wie jung das Opfer war. Die Nonne, die sie eingelassen hatte, war eine ältere Frau gewesen, ebenso wie die drei, die sie im Fenster erblickt hatte. Diese Frau jedoch war wesentlich jünger. Es war ein Gesicht von ätherischer Zartheit, die blassblauen Augen in einem seltsam verklärten Blick erstarrt. Ihr Kopf war entblößt, das blonde Haar auf Streichholzlänge geschnitten. Die aufgeplatzte Kopfhaut und der verformte Schädel zeugten von den brutalen Schlägen, die sie getötet hatten.
    »Ihr Name ist Camille Maginnes. Schwester Camille. Stammt aus Hyannisport«, sagte Rizzoli. Sie klang nüchtern und ungerührt, wie ein weiblicher Philip Marlowe. »Schwester Camille war die erste Novizin hier seit fünfzehn Jahren. Im Mai wollte sie ihr ewiges Gelübde ablegen.«
    Nach einer Pause fuhr sie fort: »Sie war erst zwanzig.« Ihre Stimme bebte jetzt vor Zorn, ein Riss in der coolen Fassade.
    »So jung.«
    »Ja. Er muss auf sie eingedroschen haben wie ein Irrer.«
    Maura streifte Handschuhe über und machte sich daran, die Verletzungen zu inspizieren. Die Mordwaffe hatte gezackte Risswunden in der Kopfhaut hinterlassen, aus denen Knochensplitter ragten. Ein Klumpen grauer Hirnmasse war ausgetreten. Die Gesichtshaut war weitgehend unversehrt, jedoch dunkelviolett angelaufen.
    »Sie lag auf dem Bauch, als sie starb. Wer hat sie umgedreht?«
    »Die Schwestern, die sie gefunden haben«, antwortete Rizzoli. »Sie haben nach einem Puls gesucht.«
    »Um wie viel Uhr wurden die Opfer gefunden?«
    »Heute Morgen gegen acht.« Rizzoli warf einen Blick auf ihre Uhr. »Vor fast zwei Stunden.«
    »Wissen Sie, was passiert ist? Was haben die Schwestern Ihnen erzählt?«
    »Es war nicht leicht, ihnen irgendwelche brauchbaren Angaben zu entlocken. Es sind nur noch vierzehn Nonnen übrig, und sie stehen alle unter Schock. Sie haben sich hier sicher gefühlt. In der Hand Gottes. Und dann bricht so ein Wahnsinniger in ihr Kloster ein.«
    »Gibt es Anzeichen für ein
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