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Todsünde

Todsünde

Titel: Todsünde
Autoren: Tess Gerritsen
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und nekrotisiertes Gewebe. Die Invasion der weißen Blutkörperchen, die wie eine Armee zur Verteidigung herbeiströmten. Vielleicht hatte Mr.Samuel Knight die Beschwerden in seiner Brust schlicht für Sodbrennen gehalten. Ein allzu üppiges Mittagessen – hätte mich wohl doch bei den Zwiebeln ein bisschen zurückhalten sollen. Nun, ein Beutel Maaloxan würde sicher Abhilfe schaffen. Oder womöglich hatte es noch bedrohlichere Anzeichen gegeben, die er aber geflissentlich ignoriert hatte: das Druckgefühl auf der Brust, die Kurzatmigkeit. Gewiss war es ihm nicht in den Sinn gekommen, dass er einen Herzinfarkt hatte.
    Dass er Tags darauf seinen massiven Herzrhythmusstörungen erliegen würde.
    Jetzt lag das Herz aufgeschnitten auf dem Sektionsbrett. Ihr Blick fiel auf den seiner Organe beraubten Brustkorb. So endet also deine Dienstreise nach Boston, dachte sie. Ein Fall ohne große Überraschungen. Keine Anzeichen für einen gewaltsamen Tod – wenn man von der schleichenden Gewalt absieht, die du deinem eigenen Körper zugefügt hast, Mr. Samuel Knight.
    Die Sprechanlage knackte. »Dr. Isles?« Es war Louise, ihre Sekretärin.
    »Ja?«
    »Detective Rizzoli ist am Apparat und will Sie sprechen. Können Sie den Anruf annehmen?«
    »Ja, ich gehe dran.«
    Maura streifte die Latexhandschuhe ab und ging zum Wandtelefon. Yoshima, der am Waschbecken gestanden und Instrumente gespült hatte, drehte den Wasserhahn zu. Er wandte sich zu ihr um und beobachtete sie mit seinen ruhigen Tigeraugen. Yoshima wusste genau, was ein Anruf von Rizzoli bedeutete.
    Als Maura schließlich auflegte, fing sie seinen fragenden Blick auf. »Heute geht es früh los«, meinte sie. Dann zog sie ihren Kittel aus und machte sich auf, um ein neues Opfer in ihr Reich zu holen.
    Der morgendliche Schneefall war mittlerweile in eine tückische Mischung aus Schnee und Eisregen übergegangen, und von den Räumfahrzeugen der Stadt war weit und breit nichts zu sehen. Vorsichtig lenkte sie den Wagen den Jamaica Riverway entlang. Zischend pflügten die Reifen durch den tiefen Schneematsch, und die Scheibenwischer kratzten über die vereiste Windschutzscheibe. Es war der erste Schnee dieses Winters, und die Autofahrer hatten sich noch nicht auf die veränderten Bedingungen eingestellt. Einige Pechvögel waren bereits von der Straße abgekommen, und einmal passierte sie einen Streifenwagen, der mit flackerndem Blaulicht am Straßenrand stand. Ein Polizist und der Fahrer eines Abschleppwagens waren ausgestiegen und blickten in den Straßengraben, wo ein verunglücktes Auto auf der Seite lag.
    Die Räder ihres Lexus begannen nach links auszubrechen, und für einen Moment sah es so aus, als steuerte sie direkt auf den Gegenverkehr zu. In Panik stieg sie auf die Bremse und spürte, wie das elektronische Stabilitätsprogramm des Wagens in Aktion trat. Mit wild pochendem Herzen lenkte sie ihr Fahrzeug auf ihre eigene Spur zurück. Verdammter Mist, dachte sie. Ich ziehe wieder nach Kalifornien. Sie verlangsamte die Fahrt zu einem ängstlichen Schleichen, ohne sich daran zu stören, dass die Leute hinter ihr zu hupen begannen und sie den ganzen Verkehr aufhielt. Na los, überholt mich doch, ihr Idioten. Ich habe schon zu viele Fahrer von eurer Sorte auf den Sektionstisch gekriegt.
    Bald hatte sie Jamaica Plain erreicht, ein Stadtviertel im Bostoner Westen mit alten Villen und Herrenhäusern, ausgedehnten Grünflächen, ruhigen Parkanlagen und Spazierwegen am Fluss. Im Sommer bot diese grüne Oase Zuflucht vor dem Lärm und der unerträglichen Hitze der Bostoner City, doch an einem Tag wie diesem, wenn der Himmel verhangen war und ein eisiger Wind über die öden Grasflächen fegte, überwog der Eindruck von Trostlosigkeit und Leere.
    Die Adresse, zu der man sie bestellt hatte, wirkte ebenfalls wenig einladend. Das Gebäude lag abseits der Straße hinter einer hohen, von Efeu überwucherten Steinmauer. Ein Schutzwall gegen die Außenwelt, dachte sie. Alles, was sie von der Straße aus sehen konnte, waren die gotisch anmutenden Türme eines Schieferdachs und ein einzelnes, hohes Giebelfenster, das sie wie ein dunkles Auge anzustarren schien. Der Streifenwagen, der neben dem Eingangstor parkte, bestätigte ihr, dass sie hier richtig war. Nur wenige andere Fahrzeuge waren bereits eingetroffen – die Stoßtrupps, die der Armee von Polizisten und Spurensicherungs-Experten vorangingen.
    Sie parkte auf der anderen Straßenseite und stieg aus, den Kopf gesenkt, um sich vor
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