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Todeswald

Todeswald

Titel: Todeswald
Autoren: Ritta Jacobsson
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wurde es ganz still. Dann begannen alle gleichzeitig zu reden.
    Herr Lundström versuchte uns für irgendeine öde Schlacht aus dem siebzehnten Jahrhundert in Polen zu interessieren, musste aber bald die Unmöglichkeit dieses Unterfangens einsehen.
    Während alle durcheinanderredeten, ging mir der Gedanke durch den Kopf, dass ich es heute bestimmt zum ersten Mal geschafft hatte, meine Klassenkameraden für etwas zu interessieren, das ich sagte. Das war ein gutes Gefühl, obwohl ich mich ein wenig dafür schämte, weil es auf Kosten der bedauernswerten Glöckchen geschah. Ein Glück, dass es ausgerechnet heute passiert war, an einem Tag, wo Mikaela mir ausnahmsweise nicht die Schau stehlen konnte!

KAPITEL 5
    Als der Unterricht zu Ende war, hatten alle Glöckchen bereits vergessen. Nur ich nicht. Ich hatte dem Verbot getrotzt und das Handy eingeschaltet gelassen, in der Hoffnung, Linus würde anrufen und berichten, wie es ihr ging.
    Doch das Telefon blieb stumm.
    Als ich nach Hause kam, sah ich Licht in Mamas Atelier. Die hohen Atelierfenster im einen Giebel dominieren unser Haus. Ohne diese Fenster würde es wie jedes beliebige zweigeschossige Wohnhaus mit gelber Holzverschalung, weißen Eckbalken und einem Balkon über dem Eingang aussehen.
    Ich konnte erkennen, dass irgendjemand am Küchentisch saß, aber Papas Wagen stand nicht in der Garageneinfahrt. Da stand bloß Mamas roter Fiat.
    Wer konnte das sein?
    Als ich ins Haus trat, wurde ich wie immer von Wuff überfallen. Sie rastete vor Freude total aus, fegte durch die Eingangsdiele und das Wohnzimmer und schleppte dann der Reihe nach ihren Ball, die Piepsgiraffe und den Teddy in die Diele.
    „Hallo!“, rief ich versuchsweise.
    „Hallo!“, ließ sich eine gedämpfte Stimme aus der Küche vernehmen.
    Es war Papa!
    Also war er trotz allem früher fertig geworden. Warum hatte er mich dann nicht von der Schule abgeholt?
    Das Telefongespräch von heute früh ging mir immer noch im Kopf herum. Da stimmte irgendwas nicht.
    Ich ließ die Schultasche auf den Boden fallen, riss mir die Jeansjacke vom Leib, streifte die schwarzen Turnschuhe ab und lief in die Küche.
    Papa saß vor einer Kaffeetasse am Küchentisch. Er hatte sich nochnicht umgezogen. Seine Anzugsjacke hing über der Stuhllehne, der Hemdkragen war aufgeknöpft und die Ärmel waren hochgekrempelt. Die Krawatte lag wie eine Schlange auf dem Tisch.
    Ich überfiel ihn mit einer Megaumarmung.
    „Grüß dich, Nisse“, sagte er zerstreut.
    Ich musterte ihn prüfend. Es heißt, ich sähe eher meinem Vater ähnlich als meiner Mutter. Warum, weiß ich nicht. Mama und ich, wir sind beide blond, Papa ist dunkel. Papas stattliche Körperlänge habe ich auch nicht geerbt. Und alle behaupten immer, Papa sei so charmant. Das bin ich nicht. Aber immerhin haben wir beide blaue Augen. Seine sahen jetzt gerade traurig aus.
    Das beunruhigte mich.
    „Ist irgendwas passiert?“
    „Nein. Warum?“
    „Wo ist Mama?“
    „Die arbeitet im Atelier.“
    „Warum bist du hier?“
    „Ich wohne hier.“
    Er saß mit leerem Blick und einem künstlichen Lächeln auf den Lippen da.
    „Oh Mann!“, stöhnte ich. „Ich meine … du wolltest doch erst viel später nach Hause kommen. Aber jetzt können wir ja doch noch zusammen ins Hallenbad fahren. Warst du schon mit Wuff draußen?“
    „Nein.“
    „Was heißt das – nein?“
    „Ich war nicht mit Wuff draußen und kann heute nicht mit dir zum Schwimmen.“
    „Aha. Und warum nicht?“
    „Hab keine Zeit.“
    Was soll das denn heißen, dachte ich.
    „Übrigens, wo ist der Wagen?“, fragte ich.
    „In der Garage.“
    Das war ungewöhnlich. Dort stand er sonst nicht, wenigstens nicht, bevor der harte Winterfrost einsetzte.
    „Aber du kannst mich doch trotzdem zum Hallenbad fahren?“
    „Warum fährst du nicht mit dem Fahrrad?“
    „Weil mein Fahrrad nicht da ist.“
    „Ist es gestohlen worden?“
    „Nöö“, sagte ich ausweichend. „Hab’s einer Freundin geliehen.“
    Sonst bestand die Gefahr, dass er einen Mordsaufstand machte und womöglich sogar die Polizei anrief. Und das wäre echt übertrieben. Ich würde schon dafür sorgen, dass ich es zurückbekam, sobald Mikaela wieder auftauchte.
    „Dann nimm doch Mamas Fahrrad.“
    „Die Reifen sind platt.“
    „Die kannst du ja aufpumpen! Oder nimm den Bus!“
    „Der fährt bloß alle halbe Stunde. Warum willst du mich nicht fahren?“
    „Was heißt da wollen. Mit dem Auto ist was nicht in Ordnung. Der Motor klingt nicht
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