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Imperium

Imperium

Titel: Imperium
Autoren: Robert Harris
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KAPITEL I
     
    Mein Name ist Tiro. Ich war sechsunddreißig Jahre lang Privatsekretär des römischen Staatsmannes Cicero - eine anfangs aufregende, dann überraschende, später mühsame und schließlich äußerst gefährliche Aufgabe. Ich glaube, dass Cicero während dieser Jahre mehr Zeit mit mir verbrachte als mit jedem anderen Menschen, seine Familie eingeschlossen. Ich war Zeuge privater Zusammenkünfte und Überbringer geheimer Botschaften. Ich brachte seine Reden zu Papier, schrieb seine Briefe und seine literarischen Arbeiten, sogar seine Gedichte. Um dem Strom seiner Worte Herr zu werden, musste ich eine allgemein als Kurzschrift bekannte Technik ersinnen, mit der noch immer die Beratungen des Senats protokolliert werden und für deren Erfindung mir kürzlich eine bescheidene Pension bewilligt wurde. Dieser Summe, einigen Erbschaften und mir wohlgesinnten Freunden verdanke ich meinen auskömmlichen Ruhestand. Ich brauche nicht viel. Die Alten leben von Luft, und ich bin sehr alt - fast hundert, heißt es.
    In den Jahrzehnten nach seinem Tod bin ich immer wieder gefragt worden, gewöhnlich im Flüsterton, wie Cicero wirklich war. Aber ich habe stets geschwiegen. Wie sollte ich wissen, wer ein Regierungsspion war und wer nicht? Jeden Augenblick war ich auf meine Liquidierung gefasst. Da mein Leben nun fast vorüber ist und ich nichts mehr zu befürchten habe - nicht einmal Folter, würde ich doch in den Händen des Scharfrichters oder seiner Folterknechte kaum eine Sekunde durchhalten -, habe ich mich entschlossen, mit dem vorliegenden Bericht eine Antwort darauf zu geben. Ich werde mich auf meine Erinnerung und die meiner Obhut anvertrauten Dokumente stützen. Da die mir verbleibende Zeit zwangsläufig kurz ist, will ich mich beeilen. Ich werde den Bericht in meiner Kurzschrift verfassen, auf einigen Dutzend Rollen feinsten Papyrus - Hieratica, das Beste vom Besten -, die ich zu diesem Zweck schon seit Längerem gehortet habe. Im Voraus bitte ich um Vergebung für stilistische Mängel und Ungeschicklichkeiten. Auch bitte ich die Götter, dass sie mich zum Ende kommen lassen, bevor das Ende mich ereilt. In seinen letzten Worten bat Cicero mich, die Wahrheit über ihn zu erzählen, und darum will ich mich bemühen. Sollte er dabei nicht immer als Muster an Tugend erscheinen, sei ' s drum. Die Macht beschert einem Mann allerlei Annehmlichkeiten, zwei saubere Hände gehören allerdings nur selten dazu.
    Und von Macht und dem Mann werde ich erzählen. Mit Macht meine ich die offizielle, die politische Macht - was wir in der lateinischen Sprache als Imperium bezeichnen -, die Macht über Leben und Tod, wie sie vom Staat auf ein Individuum übertragen wird. Hunderte von Männern haben nach dieser Macht gestrebt. Aber Cicero war einzigartig in der Geschichte der Römischen Republik, weil ihm beim Griff nach der Macht nichts als sein eigenes Talent zur Verfügung stand. Er entstammte nicht, wie Metellus oder Hortensius, einer der bedeutenden, seit Generationen in der Politik tätigen Adelsfamilien, von deren Reputation er am Wahltag profitieren konnte. Hinter ihm stand nicht, wie bei Pompeius oder Caesar, eine mächtige Armee, die seine Kandidatur unterstützte. Er verfügte nicht wie Crassus über ein gewaltiges Vermögen, das ihm den Weg ebnete. Er hatte nur eines - seine Stimme. Und mit der schieren Kraft seines Willens machte er aus dieser die berühmteste Stimme der Welt.
     
     
     
    Ich war vierundzwanzig Jahre alt, als ich in Ciceros persönlichen Dienst eintrat, ein auf seinem Familiensitz nahe Arpinum geborener Haussklave, der Rom nie zuvor gesehen hatte. Er war ein junger Rechtsanwalt, der an nervösen Erschöpfungszuständen litt und sich mit jeder Menge natürlicher Gebrechen herumschlug. Kaum jemand hätte auf meine und auf seine Zukunftschancen besonders viel gegeben.
    Zu jener Zeit war Ciceros Stimme nicht das Furcht einflößende Organ, zu dem es später wurde. Sie war schroff, und er neigte zum Stottern. Ich glaube, sein Problem war, dass die in seinem Kopf brodelnde Menge an Worten sich bei nervlicher Anspannung in seinem Hals staute, als ob sich zwei von der nachdrängenden Herde vorwärtsgeschobene Schafe gleichzeitig durch ein Gatter gequetscht hätten. Wie auch immer, der Inhalt seiner Reden war oft zu hochtrabend, als dass sein Publikum ihn verstanden hätte. »Der Gelehrte« oder »der Grieche« wurde er von seinen unaufmerksamen Zuhörern genannt - was keineswegs als Kompliment gemeint war.
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