Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Todesopfer

Todesopfer

Titel: Todesopfer
Autoren: Sharon Bolton
Vom Netzwerk:
führte und halb trug. Die Augen meines Mannes waren offen, aber trüb; anscheinend konnte er mich nicht allzu gut sehen. Ich streckte die Hand aus und streichelte sein Gesicht. Sein ganzer Kopf war verbunden. Ich ließ ihn nicht aus den Augen, als Kenn und die Schwester mich wieder in mein eigenes Bett brachten.
    Â»Er hat einen ziemlich üblen Schlag auf den Kopf abgekriegt«, berichtete Kenn. »Wir haben ein CT gemacht, als man euch alle heute Morgen eingeliefert hat. Die Hirnhautarterie war eingerissen und hat ein epidurales Hämatom verursacht.«
    Ich beobachtete, wie Duncans Augen sich langsam schlossen. Er hatte eine ziemlich häufige Schädelverletzung erlitten. Die mittlere Hirnhautarterie, die Arteria meningea media, verläuft auf beiden Seiten des Kopfes dicht über der Schläfe; dort ist der Schädelknochen dünn, was die Arterie anfällig für Verletzungen macht. Ein epidurales Hämatom – eine Einblutung zwischen Schädelknochen und Gehirn – kann Druck auf empfindliches Hirngewebe ausüben und unbehandelt zu Gehirnschädigungen und sogar zum Tod führen.
    Â»Kommt er wieder in Ordnung?«, erkundigte ich mich.
    Â»Wir denken schon. Das Blut hatte Zeit zu gerinnen, deshalb war eine Kraniotomie nötig, aber es ist alles ganz glatt gelaufen. Sie lassen ihn noch etwa zwölf Stunden sediert.«
    Der junge Arzt hatte die Spritze aufgehoben und hielt sich einsatzbereit im Hintergrund.
    Â»Vergessen Sie’s!«, fauchte ich ihn an.
    Der Arzt wechselte einen Blick mit Kenn, dann ging er hinaus. Die Schwester und der Pfleger folgten ihm, und die Tür schloss sich hinter ihnen.

    Kenn setzte sich auf die Bettkante.
    Â»Die anderen? Sind sie auch hier?«
    Er nickte. »Dana ist vor ein paar Stunden auf eigene Verantwortung gegangen. Alison und Collette sind noch da. Beiden geht’s gut.«
    Einen Augenblick lang konnte ich ihm nicht folgen. Dann begriff ich. Freya und Odel – natürlich waren das nicht ihre richtigen Namen gewesen.
    Â»Alison und Collette«, wiederholte ich. »Erzählen Sie mir von ihnen.«
    Â»Sie müssen sich ausruhen.«
    Â»Nein, erzählen Sie mir, wer sie sind«, drängte ich ihn, versuchte mich aufzurichten und schaffte es nicht. Duncans Augen waren noch immer geschlossen, doch das gleichmäßige Heben und Senken seiner Brust war beruhigend.
    Kenn stand auf und kurbelte das Kopfende des Bettes hoch.
    Â»Collette McNeil ist dreiunddreißig«, sagte er und setzte sich wieder. »Sie ist verheiratet, hat zwei Kinder und wohnt ganz in der Nähe von Sumburgh. Jeden Morgen bringt sie die Kinder zur Schule und geht dann oben auf den Klippen mit dem Hund spazieren, drüben an der Westküste. Genau das hat sie getan, als ein paar Männer auf sie zukamen. Das Nächste, woran sie sich erinnern kann, ist, dass sie auf Tronal aufgewacht ist. Der Hund ist allein nach Hause gelaufen und hat Krawall geschlagen. Alle haben geglaubt, sie sei die Klippe hinuntergestürzt.«
    Â»Ihre Familie? Sie wissen Bescheid?«
    Kenn nickte. »Ihr Mann ist jetzt bei ihr.«
    Â»Und die andere? Alison?«
    Â»Alison war Touristin. Ist mit ein paar Freunden gekommen, hat sich aber abgesetzt, um die Inseln allein zu erkunden. Sie weiß nicht mehr, was passiert ist; sie ist ziemlich traumatisiert, aber anscheinend wurde sie vor drei Wochen gesehen, als sie die Fähre von Fair Isle genommen hat. Niemand hat sie wieder auf dem Festland ankommen sehen. Man vermutete, sie sei ertrunken.«
    Â»Die konnten es sich nicht leisten, dass in diesem Sommer Leichen
gefunden werden«, meinte ich. Kenn bedachte mich mit einem Stirnrunzeln. »Stephen Renney gehört nicht zu ihnen«, erklärte ich. »Er arbeitet erst seit ein paar Monaten in der Klinik, er ist nicht einmal von den Shetlands. Dieses Jahr konnten sie es nicht riskieren, einen Todesfall im Krankenhaus vorzutäuschen. Es wären alles Unfälle gewesen, bei denen man die Leichen nie gefunden hätte.«
    Kenn schwieg. Wir lauschten auf die Geräusche draußen auf dem Korridor, auf Duncans Atemzüge. »Möglich«, sagte er schließlich. »Hören Sie, das reicht jetzt.« Er stand auf. »Sie müssen sich ausruhen.« Als er sich anschickte, das Zimmer zu verlassen, fühlte ich, wie die Panik wieder in mir emporstieg.
    Â»Keine Medikamente, keine Beruhigungsmittel, keine Schmerzmittel.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher