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Die Hitzkammer

Die Hitzkammer

Titel: Die Hitzkammer
Autoren: Wolf Serno
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PROLOG
    Das Blut spritzte, als der Erste Sohn des Teufels dem Zweiten Sohn des Teufels das Messer in den Arm stieß.
    Der Dritte Sohn des Teufels lächelte mit starrem Blick. Auch sein Blut würde gleich fließen. Es würde in den eisernen Topf zu ihren Füßen rinnen und sich mit dem seiner beiden Brüder verbinden. Doch sie würden es noch nicht trinken.
    Erst musste dem Ritual Genüge getan werden. Luzifer musste gnädig gestimmt sein, wollte man in den Bereich der höchsten Lüste vorstoßen.
    Der entrückte Zustand, in dem sich der Dritte Sohn des Teufels befand, ließ ihn kaum den Schmerz spüren, als das Messer auch in seinen Arm drang. Wieder musste er lächeln. Es war lustig, wie das Blut spritzte. Und es würde schmecken. Denn es würde noch ein viertes Blut dazukommen. Bald, sehr bald.
    Der Erste Sohn des Teufels nahm eine der Fackeln von der Wand und hielt sie hoch über sich. »Luzifer!«, rief er mit lauter Stimme, »Deine Söhne sind hier, um Dir zu huldigen!« Dann ließ er die Fackel kreisen und begann mit abgehackten Bewegungen um das Feuer zu tanzen.
    Der Zweite und der Dritte Sohn des Teufels taten es ihm nach, denn die besondere Verbindung, die zwischen ihnen und dem Ersten Sohn des Teufels bestand, verlangte es so.
    Ein schwerer Singsang, immer lauter werdend, drang aus den Kehlen der drei. Ihre Körper wurden schneller, ihre Masken bewegten sich im Takte des Singsangs. Die Melodie wurde rhythmischer. Die Körper passten sich ihr an. Schweiß lief den dreien in Bächen über die Haut. Schwerer Geruch nach Weihrauch lag in der Luft. Endlich, mit einem gutturalen Schrei, beendete der Erste Sohn des Teufels den Gesang, fiel erschöpft zu Boden und betete inbrünstig:
    »Luzifer, Du Herrlicher!
    Einzig bist Du, einzig warst Du, einzig wirst Du immer sein! Deine Kraft und Männlichkeit komme über uns,
    auf dass wir Dich
    wie unser eigenes Leben lieben! Auf ewig!«
    »Auf ewig!«, riefen auch der Zweite und der Dritte Sohn des Teufels.
    Nun würde bald das vierte Blut sich mit dem ihren vereinen.
    Der Zweite und der Dritte Sohn des Teufels lächelten jetzt mit leuchtenden Augen. Denn das, was vorher käme, schmeckte ihnen noch besser als Blut. Sie würden eine Frau schmecken. Sie würden ihre Kraft in sie versenken.
    Und Luzifer würde es gutheißen.
    Der Erste Sohn des Teufels erhob sich und verließ den Ort ihrer Zeremonie. Er ging voran, den eisernen Topf in Brusthöhe vor sich haltend. »Sei bereit! Luzifer will seinen Tribut!«, rief er mit schallender Stimme. »Sei bereit, uns zu empfangen.«
    Doch dort, wo vorhin noch eine Frau gelegen hatte, war nur noch leerer Stein. Luzifers Opfer war fort.
    Die Freude des Zweiten und des Dritten Sohns des Teufels hielt unverändert an. Sie verstanden das Geschehene nicht.
    Der Erste Sohn des Teufels war der Einzige, der die ganze Tragweite dieses Ereignisses ermessen konnte. Hastig setzte er den Topf mit dem Blut ab und riss sich die Maske herunter. Sein Gesicht verzerrte sich vor Wut.
    »Dafür muss sie brennen!«, zischte er.
     
     
    DER TAG DAVOR
    Der Mann, der sich Lapidius nannte, stand in seinem Laboratorium und schob zwei Buchenscheite in einen bauchigen Ofen aus roten Ziegeln. »Das Feuer im Athanor muss ununterbrochen brennen«, murmelte er, »ununterbrochen, denn je mehr es dem ewigen Feuer gleichkommt, desto besser gelingt das Werk.« Aufmerksam beobachtete er, wie die Flammen sich augenblicklich in das abgelagerte Holz fraßen.
    Als er sicher war, dass die Scheite gut durchglühen würden, ging er die drei Schritte hinüber zu seinem Experimentiertisch, dessen Oberfläche gänzlich mit gläsernen Tiegeln und Kolben bedeckt war. Er zog ein papierenes Büchlein heran, schlug es auf und beugte sich über seine Aufzeichnungen. Es waren Angaben zu seiner jüngsten Versuchsreihe, die er am Tag zuvor festgehalten hatte: Angaben über Stoffe, Flüssigkeitsmengen, Temperaturen, Verfärbungen und zeitliche Abfolgen. Er musste die Augen zusammenkneifen, um die Eintragungen besser entziffern zu können. Geraume Zeit las er. Das, was er gestern geschafft hatte, machte Sinn. Die einzelnen Schritte waren logisch, die Erkenntnisse richtig. Ein Gefühl der Zufriedenheit durchströmte ihn. Trotzdem würde es noch eine Weile dauern, bis er am Ziel war. Geduld und Scharfsinn, das war es, worauf es in der Alchemie ankam.
    Er blickte auf und blinzelte. Seine Augen wurden schwächer. Das war eine bedauerliche Tatsache. Er war beinahe vierzig, und mit jedem Jahr, das
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