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Todesopfer

Todesopfer

Titel: Todesopfer
Autoren: Sharon Bolton
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Pullover; ihr Haar war
straff zu einem Pferdeschwanz gebunden. Ich hatte sie seit jener Nacht, als wir alle zusammen ins Meer gesprungen waren, nicht mehr gesehen. Sie sah kleiner und dünner aus, als ich sie in Erinnerung hatte. Als sie uns erreichte, schien sie nicht zu wissen, was sie sagen sollte.
    Â»Ich dachte, Sie sind in Dundee und krankgeschrieben«, bemerkte ich, weil sie den Eindruck machte, als würde sie gleich weinen, und ich wusste nicht, ob ich damit umgehen konnte. Im Lauf der letzten Wochen hatte es zu viele Tränen gegeben.
    Sie zog einen Stuhl heran und klappte ihn auf. »Da sollte ich eigentlich auch sein«, antwortete sie. »Hab mich zu Tode gelangweilt. Bin heute Morgen zurückgeflogen.« Sie nahm neben mir Platz.
    Â»Ich glaube, Sie kriegen gleich Ärger«, meinte Duncan, der zum oberen Teil der Wiese hinaufsah. Wir folgten beide seinem Blick. Helen, in einen weißen Overall gehüllt, hatte aufgehört, wie eine Glucke herumzuwuseln, und starrte zu uns herab.
    Ich schaute wieder zu Dana, riskierte ein Lächeln und sah dessen schwachen Abglanz auf ihrem Gesicht.
    Â»Wie fühlen Sie sich?«, fragte sie und blickte auf meinen Bauch.
    Â»Grauenvoll«, antwortete ich, weil das der Wahrheit ziemlich nahe kam, doch es gibt wirklich keine Worte, um zu beschreiben, was eine Frau im ersten Trimester einer Schwangerschaft durchmacht. Sobald ich wieder telefonieren konnte, ohne mich mittendrin zu übergeben, würde ich alle meine ehemaligen Patientinnen anrufen und mich dafür entschuldigen, dass ich nicht mitfühlend genug gewesen war.
    Â»Und ist das … gut?«
    Â»Nein, aber es ist normal«, erwiderte ich. Wir verstummten und beobachteten Helen, die hin- und hergerissen zu sein schien zwischen dem Wunsch herunterzukommen und Dana zusammenzustauchen, weil sie wieder zur Arbeit gekommen war, und der Notwendigkeit zu bleiben und weiterzumachen. Die ganze Zeit über dachte ich, dass das einzig annähernd Normale an meiner Schwangerschaft das winzige Geschöpf in deren Zentrum war.
Gestern hatte Jenny einen Ultraschall vorgenommen. Duncan und ich hatten uns an den Händen gehalten, und Tränen waren uns übers Gesicht gelaufen, während wir einen formlosen kleinen Klumpen mit einem sehr kräftigen Herzschlag betrachtet hatten, völlig ahnungslos, was sich um ihn herum abspielte.
    Â»Und wir hoffen dann wohl auf… ein Mädchen?«, erkundigte Dana sich vorsichtig. Ich hörte, wie Duncan leise auflachte, und das erschien mir wie ein gutes Zeichen.
    Ein plötzliches Geräusch ließ mich aufhorchen. Auf dem Zaun, der sich an der Wiese entlangzog, hockte eine Schar blassgrauer Vögel mit gegabelten Schwänzen, schwarzen Köpfen und roten Schnäbeln. Es waren Küstenseeschwalben, zurückgekehrt aus ihrem langen Winter in der südlichen Hemisphäre. Sie wollten wie jedes Jahr auf unserer Wiese nisten, und die plötzliche Menscheninvasion hinderte sie daran. Seeschwalben sind keine friedlichen Vögel. Sie hüpften auf dem Zaun herum, kreisten über der Wiese und schrien den Polizisten dort unten zu, sich gefälligst vom Acker zu machen und woanders zu graben; wussten sie denn nicht, dass dies ein Brutplatz war?
    Â»Ich glaube, sie haben was gefunden«, sagte Dana.
    Mein Blick wandte sich von den Vögeln ab. »Wo?«
    Â»Die Gruppe da neben Helen. Der große Blonde. Die Frau mit dem dicken Brillengestell.«
    Ich sah hin. Die kleine Gruppe, von der Dana sprach, war nicht länger ein Team unter vielen, sie war zum Fokus aller Aktivitäten auf der Wiese geworden. Ein weiß gekleideter Beamter nach dem anderen trat näher.
    Â»Ach, das machen die schon seit einer Stunde«, meinte Duncan. »Ich glaube, das Team ist bloß leichter erregbar als die anderen.«
    Â»Die sind ganz dicht bei der Stelle, wo ich Melissa gefunden habe«, sagte ich mit leiser Stimme. Niemand sprach. Oben auf der Wiese begannen vier Mann ernsthaft zu graben.
    Â»Wir sollten reingehen«, sagte Duncan. Niemand rührte sich.
    Das Graben ging weiter. Jegliche Aktivität auf dem Rest der Wiese hatte aufgehört. Alle Augen waren auf die Männer mit den
Schaufeln gerichtet. Sogar die Seeschwalben schienen verstummt zu sein.
    Wolken zogen vom Voe herein. Das Land, gerade eben noch so reich an Farben, versank im Schatten. Niemand, weder auf der Wiese noch auf der Terrasse, hatte das Bedürfnis,
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