Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Todesopfer

Todesopfer

Titel: Todesopfer
Autoren: Sharon Bolton
Vom Netzwerk:
als ideal, und ich war keine Baggerführerin; eine Einweisung von zwanzig Minuten auf dem Hof des Baumaschinenverleihs, und ich war auf mich allein gestellt. Ich erwartete Duncan in vierundzwanzig Stunden zurück und überlegte, ob es nicht doch besser sei, auf ihn zu warten. Auf dem Zaunpfosten feixte die Elster und vollführte einen angeberischen kleinen Tanzschritt zur Seite. Ich biss die Zähne zusammen und schob den Hebel abermals nach vorn.
    Auf dem Paddock zu meiner Rechten sahen Charles und Henry mir zu und ließen ihre hübschen, traurigen Gesichter über den Zaun hängen. Manche Leute werden Ihnen erzählen, Pferde seien dumme Geschöpfe. Glauben Sie das bloß nicht! Diese edlen Tiere haben Seelen, und die beiden teilten meinen Schmerz, als der Bagger und ich auf Jamie zurollten.
    Zwei Meter entfernt hielt ich an und sprang vom Fahrersitz.
    Ein paar von den Fliegen besaßen den Anstand, sich in respektvolle Entfernung zurückzuziehen, als ich neben Jamie niederkniete und seine schwarze Mähne streichelte. Vor zehn Jahren, als er ein junges Pferd gewesen war und ich gerade mein medizinisches Praktikum im St. Mary’s machte, hatte meine große Liebe – oder jedenfalls dachte ich das damals – mir den Laufpass gegeben. Mit gebrochenem Herzen war ich zum Hof meiner Eltern in Wiltshire gefahren, wo Jamie damals stand. Er hatte den Kopf aus seiner Box gestreckt, als er mein Auto hörte. Ich ging hinüber und strich ihm sanft über die Nüstern, ehe ich meinen Kopf gegen seinen fallen ließ. Eine halbe Stunde später war seine Nase
klatschnass von meinen Tränen, und er hatte sich keinen Zentimeter gerührt. Wäre es ihm möglich gewesen, mich in die Arme zu nehmen, er hätte es getan.
    Jamie, mein wunderschöner Jamie, so schnell wie der Wind und so stark wie ein Tiger. Sein großes, gutes Herz hatte endlich aufgegeben, und das Letzte, was ich jemals für ihn würde tun können, war, ein verdammtes Riesenloch zu buddeln.
    Ich kletterte wieder in den Bagger, hob den Lastarm und senkte die Schaufel. Halb mit Erde gefüllt, kam sie wieder hoch. Gar nicht schlecht. Ich schwenkte den Bagger herum, ließ den Aushub fallen, schwenkte zurück und wiederholte das Ganze. Diesmal war die Schaufel bis oben hin voll mit schwerem, dunkelbraunem Mutterboden. Als wir hier hergezogen waren, hatte Duncan im Scherz gesagt, wenn seine neue Firma Pleite machen sollte, könne er ja Torfbauer werden. Der Torf bedeckt unser Land mit einer ein bis drei Meter dicken Schicht, und selbst mit dem Bagger machte er dieses Unterfangen zu Schwerarbeit.
    Ich grub weiter.
    Eine Stunde später hatten die Regenwolken ihr Versprechen wahrgemacht, die Elster hatte das Handtuch geworfen, und mein Loch war ungefähr zwei Meter tief. Ich hatte gerade die Schaufel gesenkt und vorwärts in den Boden gekrallt, als ich spürte, wie sie an irgendetwas hängen blieb. Ich blickte hinab und versuchte, um den Lastarm herumzuspähen. Einfach ging das nicht – inzwischen war überall Matsch. Also hob ich den Arm ein kleines Stück an und schaute von Neuem hin. Da unten lag irgendetwas im Weg. Ich leerte die Schaufel aus und hob den Lastarm. Dann stieg ich aus der Fahrerkabine und trat an den Rand des Lochs. Ein großer Gegenstand, in vom Torf braun verfärbten Stoff gewickelt, war von dem Bagger halb aus der Erde gezerrt worden. Ich erwog bereits hinunterzuspringen, als mir klar wurde, dass ich sehr dicht am Rand geparkt hatte und Torf – mittlerweile sehr nass – von den Kanten des Lochs bröckelte.
    Keine gute Idee. Ich hatte keine Lust, in einem Loch im Boden festzustecken, unter einem anderthalb Tonnen schweren Minibagger,
der auf mich draufgekippt war. Also stieg ich wieder ein, setzte den Bagger fünf Meter zurück, kletterte hinaus und kehrte zu dem Loch zurück, um mir das Ganze noch einmal anzusehen.
    Und ich sprang hinein.
    Plötzlich wurde der Tag stiller und dunkler. Ich konnte den Wind nicht mehr fühlen, und sogar der Regen schien nachgelassen zu haben – viel davon war wohl vom Wind davongetrieben worden. Ebenso wenig konnte ich das Rauschen der Wellen deutlich hören, die sich in der nahen Bucht brachen, oder das gelegentliche Brummen eines Autos. Ich befand mich in einem Loch in der Erde, abgeschnitten von der Welt, und das gefiel mir nicht sonderlich.
    Der Stoff war Leinen. Dessen rau-glattes Gewebe
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher