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Todesopfer

Todesopfer

Titel: Todesopfer
Autoren: Sharon Bolton
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Torfflecken an meinen Händen und der dunkelbraunen Erde unter meinen Fingernägeln sehr bewusst. Von dort aus, wo ich saß, konnte ich die Wiese nicht sehen, doch ich hatte noch etliche andere Autos auf unseren Hof fahren hören.
    Schon dreimal hatte ich die Ereignisse der letzten Stunde in immer ermüdenderer Ausführlichkeit geschildert. Jetzt war es anscheinend Zeit für ein Verhör anderer Art. »Fünf oder sechs Monate«,
wiederholte ich. »Wir sind letztes Jahr hergezogen, Anfang Dezember.«
    Â»Warum?«, fragte sie. Ich hatte bereits ihren weichen Ostküstenakzent bemerkt. Sie stammte nicht von den Shetlands.
    Â»Schöne Landschaft und hohe Lebensqualität«, antwortete ich und überlegte, was an ihr mir gegen den Strich ging. Es gab nichts, worüber man sich konkret hätte beschweren können: Sie war höflich gewesen, wenn auch ein wenig distanziert, professionell, wenngleich ein wenig unterkühlt. Sie ging sehr sparsam mit Worten um, nicht eine Silbe kam über ihre Lippen, die nicht unbedingt nötig war. Ich dagegen redete zu viel und wurde von Minute zu Minute reizbarer. In Gegenwart dieser zierlichen, hübschen Frau fühlte ich mich plump und schlecht angezogen, schmutzig und – ausgerechnet – schuldig.
    Â»Und außerdem ist dies eine der sichersten Gegenden in ganz Großbritannien«, fügte ich mit freudlosem Lächeln hinzu. »Jedenfalls haben sie das in der Stellenanzeige behauptet.« Ich beugte mich über den Tisch zu ihr vor. Sie sah mich nur an.
    Â»Ich weiß noch, dass ich das ein bisschen komisch gefunden habe«, plapperte ich weiter. »Ich meine, wenn man sich um einen neuen Job bewirbt, was fragt man dann so? Ist das Gehalt einigermaßen, wie viel Urlaub kriege ich, wie sind die Arbeitszeiten, wie viel kosten Wohnungen in der Gegend, gibt es hier gute Schulen? Aber ›Ist es auch sicher?‹ Wie viele Leute fragen das? Kommt mir fast so vor, als hättet ihr hier oben etwas zu beweisen.«
    Detective Sergeant Tulloch besaß die Art von Selbstbeherrschung, von der ich nur träumen konnte. Sie brach den Blickkontakt ab und schaute auf ihren bisher unberührten Becher hinunter. Dann hob sie ihn an die Lippen und nippte vorsichtig daran, ehe sie ihn wieder abstellte. Ihr Lippenstift hinterließ eine schwache rosafarbene Schliere. Ich trage selbst nie welchen und hasse Lippenstiftspuren. Sie sehen zu persönlich aus, zurückgelassen wie Abfall; es ist ein bisschen so, als ob man achtlos die Zellophanhülle eines Tampons auf den Wohnzimmerteppich von jemand anderem wirft.

    DS Tulloch musterte mich. In ihren Augen lag ein Glitzern, das ich nicht deuten konnte. Entweder war sie sauer oder belustigt.
    Â»Mein Mann ist Schiffsmakler«, sagte ich. »Er hat früher bei der Baltic Exchange in London gearbeitet. Mitte letzten Jahres wurde ihm eine Teilhaberschaft in einem Unternehmen hier oben angeboten. Es war ein zu guter Deal, als dass man ihn hätte ablehnen können.«
    Â»Ein ganz schöner Umbruch für Sie. Ist weit weg von Südengland.«
    Ich senkte den Kopf, nahm die Wahrheit ihrer Worte zur Kenntnis. Ich war weit weg von den sanften, fruchtbaren Hügeln des ländlichen England, wo ich aufgewachsen war, weit weg von den staubigen, lauten Straßen Londons, wo Duncan und ich die letzten fünf Jahre gewohnt und gearbeitet hatten, weit weg von Eltern, Brüdern, Freunden – wenn man von den Freunden in Pferdegestalt einmal absah. Ja, ich war weit weg von zu Hause.
    Â»Für mich vielleicht schon«, meinte ich schließlich. »Duncan stammt von hier. Er ist auf Unst aufgewachsen.«
    Â»Wunderschöne Insel. Gehört das Haus Ihnen?«
    Ich nickte. Duncan hatte das Haus entdeckt und während einer der Reisen, die er im letzten Jahr hierher unternommen hatte, um die Einzelheiten seiner neuen Unternehmensbeteiligung zu klären, ein Angebot gemacht. Dank eines Treuhandvermögens, auf das er seit seinem dreißigsten Geburtstag Zugriff hatte, mussten wir nicht einmal eine Hypothek aufnehmen. Das erste Mal hatte ich unser neues Heim gesehen, als es uns bereits gehörte und wir dem Umzugswagen von der A917 aus gefolgt waren. Ich hatte ein großes Steinhaus erblickt, ungefähr hundert Jahre alt. Aus großen Schiebefenstern blickte man vorn auf das Tresta Voe und hinten auf die Hügel von Weisdale. Wenn die Sonne schien (was
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