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Todesformel

Todesformel

Titel: Todesformel
Autoren: Verena Wyss
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ausdauernd, 7.30 Uhr. Anstelle von Erna Kockels öffnet ein verschlafener, halb nackter Mann; seine einzige Bekleidung sind eng anliegende graue Boxershorts. Ich schaue direkt auf einen nackten Waschbrettbauch, eine hell behaarte Männerbrust; schaue nach weiter oben, braune weiche Haare fallen ins dreieckige Gesicht, schaue in verschlafene Mandelaugen, sehe einen dunklen Dreitagebart. Er ist etwa so groß wie ich, etwas älter als ich, bodygebildet. Bewusst schaue ich neben seiner Brust vorbei, goldene Härchen, will auch die muskulösen Oberarme nicht sehen, schaue ganz sicher nicht nach weiter unten, trete einen Schritt zurück. Hätte ich mich doch wenigstens gekämmt, der meint, ich sei eine Jugendliche, ich fühle mich unförmig im ziegelroten Schlabberpullover über den Leggins, und erst die Ringelsocken. – Erna Kockels macht eine Weiterbildung in London, er ist der Untermieter, Claas Ranke, Schriftsteller. – Den Namen habe ich nie gehört, was nichts heißt. Er weiß von keiner Überschwemmung, kann sich nicht denken, dass da etwas undicht sein sollte. – Er nervt, es muss ein Rohrbruch sein, zumindest muss man schleunigst die Zuleitung unterbrechen, wie kann er einfach so dastehen!
    Er verschwindet, kommt wieder, hat sich einen schwarzen, viel zu engen Pullover übergezogen. – Es ist das Rohr, eine Naht rinnt. Er wird sie dichten, okay? – Wie sind seine Abmachungen, wer haftet, wenn er Untermieter ist, die Decke in meinem Bad ist ruiniert und möglicherweise ist es auch schon die Stuckdecke unten in meiner Kanzlei. Überhaupt hat Erna Kockels mir nichts von Veränderungen gesagt.
    Dann soll ich erst wieder kommen, wenn alles trocken ist.
    Wir sind voneinander nicht erbaut. Ich bin auch von Erna Kockels nicht erbaut. Der Einbruch vor vier Tagen mag sie ja durcheinandergebracht haben, doch ich arbeite in diesem Haus, sie hätte klingeln können, hätte mich orientieren, sich verabschieden können. Es gibt Leute, die haben nicht den geringsten Anstand.
    Doch dann renne ich zurück in mein Bad, mit dem Eimer und der Kehrichtschaufel schöpfe ich das Wasser direkt in die Badewanne, helfe dann mit meinen so wunderbar saugfähigen Frotteetüchern nach, ausbreiten, aufsaugen lassen und über der Wanne auswringen, diese Brühe muss weg, bevor sie auch die Decke zum unteren Stockwerk durchtränkt.
     
    Ostersamstag fliegt Benno auf Fotosafari nach Kenia, wird mit Ines, seiner neuen Freundin, den Kilimandscharo besteigen. Sie ist groß wie ich, blond wie ich, wobei ich die Echtheit ihres Blondtons bezweifle, Unternehmensberaterin, also geschäftstüchtig. Zusätzlich ist sie fünf Jahre jünger als ich und nimmt Ballettstunden. Das schlägt auf die Stimmung. Benno ist Ende dreißig. Ich muss mich darauf einstellen, dass sie heiraten werden, sobald die Fristen vorbei sind. Es betrifft mich zwar gar nicht, es ist bloß irgendwie beleidigend. Sie wird schwanger werden.
    Ich vergrabe mich in meine Arbeit.
    Nachmittags fällt mir auf, wie lange ich Noël schon nicht gesehen habe und wo ist Moshe? Ich finde sie beide oben beim Schriftsteller, muss noch einmal seinen Namen erfragen. Mein Gott, ich weiß nichts von diesem Menschen, und Noël sitzt zufrieden in der Wohnung auf Erna Kockels schwefelgelbem Sofa, hat Sirup getrunken, das leere Glas steht auf dem niederen Sofatisch, und schaut sich ein Geo-Hochglanzheft an, schon wieder Afrika.
    »Ich bin keine Glucke und rege mich nicht gleich auf, ich sollte bloß jeweils wissen, wo mein Junge und der Hund stecken, ob sie im Haus sind oder außerhalb. Natürlich habe ich mir Sorgen gemacht, Herr Ranke. Hat Frau Kockels denn nichts davon gesagt, dass hier eingebrochen wurde? Und seit wann wussten Sie denn, dass diese Wohnung an Ostern frei wird? – Im Internet sei die Wohnung kurzfristig ausgeschrieben gewesen? Für Sie eine Gelegenheit, in der Stadt zu arbeiten?«
    Noël hört aufmerksam zu, entspannt und zufrieden. Er hat offensichtlich einen Freund gefunden. Benehme ich mich wie eine Glucke, fühle ich mich als Glucke? Noël lacht über das ganze Gesicht, wie dieser Ranke ihn auffordert, bald wieder zu kommen, er dürfe jederzeit klingeln. Er könne mir jeweils doch einen Zettel schreiben, damit ich mich nicht aufregen müsse. Ich werde angelächelt, er findet Noël einen ganz patenten Jungen. Beinah hätte ich mich verschluckt. Diese Augen, fast magnetisch oder was?
    * * *
    Ostern feiern wir auf den ›Höhen‹ bei Alja in der Mühle. Knut feiert mit Uschis Familie,
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