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Todesformel

Todesformel

Titel: Todesformel
Autoren: Verena Wyss
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laufen über den Hinterhof, setzen über den Maschendrahtzaun. Sie tun dies mit Leichtigkeit, sind schlank. Jetzt rennen sie den Rain hinunter, sind weg.
    Per Handy rufe ich Knut an, wecke ihn. Es ist beruhigend, seine befehlsgewohnte Stimme zu hören. Ich habe sie weglaufen sehen, also sind sie weg. Knut kommt sofort.
    Es sind dreiundzwanzig Kilometer von Feldisberg hierher. Dort in den ›Höhen‹ bin ich aufgewachsen.
    Ich wage es nicht, die Wohnungstür zu öffnen, um ins Treppenhaus zu lauschen, ziehe mich an, schwarze Cordhose, Schottenbluse und schwarze Weste, binde die Haare im Nacken zusammen, Lippenstift und Wimperntusche, warte. Wie das dauert, bis zwei Polizisten unten klingeln, in der Zwischenzeit hätte wer weiß was geschehen können. Sie durchsuchen das ganze Haus. Im Keller ist die Tür zum Heizraum, in dem alle Installationen untergebracht sind, nicht verschlossen. Offensichtlich wurde wer auch immer durch mich gestört. An einem Schaltkasten des Telefons hängt der abgeschraubte Deckel an einem Kabel herab.
    Ein früher Tagesbeginn, wir haben schon Sommerzeit, nachtdunkel.
    Um sieben Uhr trifft Knut ein, bringt einen Schwall kühle Luft mit, hängt seinen nassen Ledermantel in die Garderobe. Unter dem Sportsakko trägt er einen dünnen Pullover, Hemd und Krawatte. Er stellt eine Papiertüte mit noch warmen Butterhörnchen auf den Tisch, zum Frühstück. Er legt seinen Arm um mich, drückt mich an sich: »Was machst du für Geschichten, Mädchen!« Wie vertraut sind die hellbraunen Augen, die gerade Nase mit den schmalen Flügeln, die scharf gezeichnete Oberlippe, die jetzt grau gesprenkelten Haare. Ich liebe seinen Morgengeruch nach Duschgel und Aftershave. Wenn ich wie jetzt am Morgen ganz flache Pumps trage, scheine ich immer kleiner zu werden, kleiner als er sowieso, trotz meiner 1,73 Meter. »Puh, Dad«, ich atme hörbar aus, ziehe eine Grimasse. Wir trinken Kaffee. Noël kommt schlaftrunken, wird wach, schiebt seinen Stuhl ganz nah an Knuts Stuhl. Wie gut, dass Opa Polizist ist. Seine Kollegen werden die Einbrecher finden. Heute bringt Knut Noël ausnahmsweise per Auto zur Schule, weil er gleich nochmals herkommen wird. Noël strahlt, nicht jeder wird mit einem schwarz glänzenden ›Saab‹ bis vors Schulhaus gefahren.
    Zuoberst im Haus wohnt Erna Kockels, eine sehr zurückhaltende Frau, Einkaufsleiterin in einer Modehauskette, geht am Morgen, kommt am Abend, wir grüßen einander freundlich. Für Noël interessiert sie sich nicht. Die Wochenenden verbringt sie mit ihrem Freund. Wir sind uns beide sicher, das Schnappschloss der Hintertür nicht entriegelt zu haben. Es spielt auch keine Rolle. Knut entdeckt fluchend, dass sich das eine Kellerfenster von außen mühelos herausheben lässt, einfach so, mitsamt dem Rahmen. Es wurde ebenso glatt wieder eingepasst. Knut scheint sich zu sorgen.
    Später am Tag erscheinen zwei Spezialisten der Kriminaltechnik und bestätigen, was die Streife schon oberflächlich festgestellt hat: Im Keller wurde die eine Telefonleitung zu meiner Privatwohnung abgehängt und unterbrochen. Die Überprüfung der anderen Leitungen ergibt, dass jene zur Kanzlei schon mit einem Abhörsender ausgerüstet ist. Wahrscheinlich wollten sie auch meine Privatleitung anzapfen. Wäre dies abgeschlossen gewesen, niemand hätte eine Manipulation bemerkt. Es müssen absolute Spezialisten gewesen sein, auch was ihre Kondition betrifft, man muss es sich erst einmal zutrauen, in einer Flanke über einen doch recht hohen Zaun zu setzen.
    Wir rätseln herum. Knut, ganz Polizist, auch wenn sein Bereich die Verkehrsabteilung ist, ist nicht davon abzubringen, das Ganze habe etwas mit einem meiner Klienten zu tun. Da Polizisten generell unter ›Déformation professionelle‹ leiden – sie sammeln wahllos Informationen, ähnlich selbsttätigen Computern, zur unpassenden Zeit spucken sie sie in originellen Kombinationen wieder aus –, kann ich mit ihm diese unwahrscheinlichen Möglichkeiten nicht besprechen; es gibt schließlich ein Anwaltsgeheimnis. Natürlich bin ich überzeugt, dass bei mir ausschließlich harmlose Klienten mit eher langweiligen Angelegenheiten aus und ein gehen. Etwas anderes anzunehmen wäre absurd. Das sind nicht Menschen mit illegalen Geschäften, also keine internationalen Schieber oder Steuerbetrüger. Was sonst würde jemanden interessieren? Ich ertappe mich beim Gedanken, Mafiosi oder was auch immer wären zumindest reich und bezahlten für Ratschläge am Rand der
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