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Todesformel

Todesformel

Titel: Todesformel
Autoren: Verena Wyss
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was mich noch immer eigenartig berührt. Dorothy feiert natürlich mit ihren Freunden in New York, Susanne, meine Exschwiegermutter, feiert mit einer Freundin, deren Familie es ebenfalls nicht für nötig hält, die Feste mit einer alleinstehenden Mutter zu feiern. Diese hadernden alternden Frauen, sie könnten sich ja einmal fragen, warum das so ist, aber ehrlich.
    Beim Erwachen am Ostermorgen ist es draußen hell, als scheine endlich die Sonne, doch das ist Schneelicht. Es schneit sogar hier in der Stadt in großen Fetzen. Ich habe es mir so schön vorgestellt, mit Noël und Moshe in Aljas Frühlingsgarten die Osternester mit den Eiern und den Süßigkeiten zu suchen, und nun das! Weiße Ostern gehen mir ganz gehörig auf die Nerven, doch Noëls Freude über den Schnee ist ansteckend. Also steigen wir auf den Estrich und holen die indianischen Mokassinstiefel und Winterjacken, meinen Trapperhut und Noëls lederne Finnenkappe wieder herunter.
    Es ist eine verschneite Landschaft, in die wir fahren, surreal weiß blendend, in den Obstbäumen hängt blauer Schnee in Packen in den Ästen. Das sieht aus wie jene einmal mit so viel Ignoranz zu Kunstwerken ›verpackten‹ Bäume, die im Winter in ihrer eigenen Wärme austrieben – Wattewolken, schwebende Segel. Ich kann nur immer wieder ungläubig den Kopf schütteln, das Licht stimmt doch einfach nicht, entspricht nicht meiner inneren Uhr, nach welcher jetzt Frühling sein sollte. Noël hat mit ›Fehlern‹ in den Jahreszeiten keine Probleme, ihn freut der Schnee. Ich schaue in sein lachendes Gesicht, das Grübchen in seiner Wange, zause rasch durch seine Locken. Es ist das pure Glück, mit seinem Kind in eine verschneite Landschaft zu fahren, ich beginne laut zu singen – ausgerechnet ein Landsknechtlied, frühkindliche Prägung durch Dad und Festhalten daran. Der Rhythmus entspricht meiner Stimmung, eher trotzig, »zwei Sechser auf den Tisch!« Noël singt hell und lauthals mit »das Leben ist ein Würfelspiel«, wir lachen. Die Straße nach Feldisberg ist bei der Brücke sogar schneebedeckt, ich fahre aufmerksam, dann ist sie wieder aper und ich liebe es, den ›Jeep‹ so richtig in die Kurven zu ziehen.
    Nach der Eiersuche, die sich wegen des wieder einsetzenden Schneetreibens auf das Haus und um das Haus beschränkt, sitzen wir am festlich gedeckten Ostertisch, Tee und kalte Platte und die mit Zwiebelschalen braun gefärbten Eier, heiße Schokolade mit Rahm, Törtchen und Plätzchen, der karamellisierte Osterpudding, ein Glas Wein und Quittenlikör.
    Alja blickt zum Fenster hinaus, findet bemerkenswert, Meret Platen scheint in letzter Zeit zweimal zu laufen, erinnert mehr denn je an eine scheue Katze, eine verlauste, struppige Katze, man vermutet das bei ihr nicht, dieser gepflegten, gestylten Frau Platen. Genau so war Tiger, wie er damals auftauchte. Tiger, der nun seit Wochen verschwunden ist. Seit das Wetter etwas milder ist, sitzt Meret Platen wieder auf der Bank am oberen Ende der Wiese. Meist sitzt sie einfach, schaut vor sich hin oder schaut möglicherweise hier zur Mühle herunter. Blickt Alja dann ein zweites und drittes Mal zu ihr hin, ist sie unvermittelt schon wieder im Wald verschwunden. Ab und zu kommt sie ja den Weg heruntergelaufen, hinter dem Maulbeerbaum zwischen den Hecken durch und quer durch den Obstgarten zum Haus. Alja lädt sie jeweils zu einer Tasse Tee ein. Seit Alja herausgefunden hat, dass Meret Platen die knusprigen ›Honey Snaps‹ liebt, hat sie einen Vorrat davon in der Büchse, was tut man nicht alles für streunende Katzen. Alja lacht belustigt, leicht entschuldigend. Sie muss im Reformhaus in der Stadt wieder den goldenen Weizensirup kaufen; mit den richtigen Zutaten ist Backen ein Kinderspiel. Bei so vielen Vorräten muss sie einzig auf Küchenschaben achten. Die waren in Massen da, als Alja einzog.
    Meret Platen klopft an die Küchentür, lässt sich hereinbitten mit einer Selbstverständlichkeit, als wäre sie auch heute eingeladen: Sie beeindruckt mich mit ihrer Eleganz, Tweed der gehobenen Klasse, mit der elastisch geraden Haltung, der Art, wie sie redet, dem strahlenden Lächeln im gepflegten Gesicht. Sie sieht überhaupt nicht aus wie eine Joggerin, schon gar nicht wie eine zerzauste, verlauste Katze. Sie ist ›vorbeigekommen‹, weil Ostern ist, weil sie hofft, eine Tasse Tee zu kriegen, weil sie für Alja ein kleines Ostergeschenk mitgebracht hat. Wie sehr sie sich freut, endlich Aljas Freunde kennenzulernen, damit
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