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Todesformel

Todesformel

Titel: Todesformel
Autoren: Verena Wyss
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vielleicht die Wirkung ab, lass sehen, wo es dich erwischt hat.« Der Stachel im Oberarm brennt wie Feuer, die Umgebung ist rot, schwillt zusehends an. Ich hebe das Glas und verschütte Wasser, so sehr zittere ich.
    »Sven sagte, es geht nicht anders. Er konnte hier mit keinerlei Polizeiunterstützung rechnen, geschweige denn mit Scharfschützen. Die Sondereinheit ist auf ›Holsten‹ eingesetzt, Knut ist dort, er hat versprochen, Noël sofort hierher zu bringen. Man lässt diesen Platen-Alt abwarten, was hier geschieht. Sven meint, er wird aufgeben, sobald sie gestanden hat. Einzig ich, Sven und Claas sind hier, darum der große Lärm, es musste rasch gehen und wirken. Sven wird nicht lockerlassen, bis sie ein volles Geständnis abgelegt hat. Es war zu erwarten, dass sie sich an diesem Kaktus vorbeizudrücken versucht. Nach Claas werden in Mittelamerika mit diesem Pfeilkaktus Geständnisse erpresst. Sie werde alles zugeben und unterschreiben, bloß um die Medikamente zu erhalten.«
    Ich trinke, meine Zähne klappern am Glas, ich denke an Noël. Er soll sich nicht fürchten, ihm wird nichts geschehen.
    Sven und Claas scheinen Chantal Platen-Alt durch den Korridor ins Wohnzimmer zu tragen. Wir hören von nebenan ihre Stimmen, jetzt Svens trockene Juristenstimme: »Es geht jetzt noch um den entführten Jungen. Sie und Ihr Mann haben keine Chancen. Wir wissen, dass Sie Yorge Droz, Fred Roos, Felix Gamba und Ihre Schwester Meret Platen ermordet haben und dass Sie eben Frau Jennifer Bach tödlich bedrohten. Wir wissen auch, dass die Firma ›Delton Biotec‹ im gesetzlichen Niemandsland geforscht und in Umgehung des Waffengesetzes die Forschungsdaten verkauft hat. Sie legen jetzt ein umfassendes Geständnis ab, das ist Ihre einzige Möglichkeit, nicht an einer Kakteenvergiftung jämmerlich zu krepieren. Claas Ranke ist Pflanzenspezialist, Botaniker und wissenschaftlicher Autor. Sein Spezialgebiet sind Sukkulenten. Er erklärt Ihnen jetzt, was Sie zu erwarten haben, wenn Sie nicht kooperieren.«
    Bin ich benebelt, gehört die schneidende Stimme zum sanften Claas? Ich erkenne die Brüllstimme von vorhin, das ist ja ein Kasper. Er spricht abgehackt, jedes Wort einzeln betonend, bedrängend, eindringlich, scharf.
    »Sie wurden von einem guatemaltekischen Pfeilkaktus gestochen. Überraschenderweise findet sich hier in der ›Mey-Mühle‹ ein stattliches Exemplar. Möglicherweise ist Ihnen bekannt, dass es Ihre Mutter war, die diesen Kaktus hierher brachte.«
    Meine Zähne klappern, sodass ich kaum folgen kann, wie Claas die Wirkungsweise des Gifts beschreibt. Doch dann höre ich: »Die Schmerzen steigern sich zum Wahnsinn, nach vielleicht drei Stunden setzt die Lähmung der Atemwege ein. Man braucht ein sofortiges Gegengift aus dem Tropeninstitut. Die Vergiftung muss während Tagen bekämpft werden, die Schmerzen sind eine Qual. Ohne Behandlung beginnen die Lähmungen an Füßen und Händen, steigen langsam hoch. Ob der Herzstillstand vor dem Ersticken eintritt, ist nicht voraussehbar. Sie werden die Gegenmittel rechtzeitig erhalten, wenn Sie uns aufs Bändchen geredet haben. Ich trage mein Diktiergerät immer bei mir. Wir geben Ihnen jetzt ein ›Aspirin‹ und wir gehen die genaue Abfolge der Ereignisse durch. Sie erzählen uns alles. Je weniger Sie lügen, desto rascher geht es. Sobald wir fertig sind, kriegen Sie ein weiteres ›Aspirin‹, dann rufen wir die Sanität, dann werden Sie hospitalisiert.«
    Alja kommt nah, flüstert mir zu: »Denk nicht, dass es dir so ergeht, Claas übertreibt, so stark erwischt es nur Allergiker. Sie hat aber sicher ein Dutzend Stacheln abbekommen, sie wird reden. Fieber wirst auch du bekommen, doch nicht sehr hohes. Das mit den Lähmungen ist eine glatte Lüge, sie kriegt eher Fieberkrämpfe.« Ich bin zu benommen, um zu fragen, woher sie das alles weiß. Das ›Aspirin‹ beginnt zu wirken.
    Jetzt reibt Alja meine Hände, sie fühlen sich kalt und leblos an. Sie bringt mich auf die Veranda, setzt mich in den Schaukelstuhl, legt eine Patchworkdecke um mich, wir warten. Durchs Fenster höre ich Claas’ und Svens Stimmen, dann sehr hoch und stockend die Frauenstimme, doch ich bin zu müde, sie zu verstehen, bete, dass sie rasch spricht, rasch zu einem Ende kommt. Noël soll bei mir sein.
    Sie scheint noch immer zu reden, als ich im Dusel ein sich näherndes Martinshorn höre. Alja sitzt neben mir und hält noch immer meine Hand. Jetzt laut und klar Svens Stimme: »Frau Platen-Alt, Sie sind
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