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Todesformel

Todesformel

Titel: Todesformel
Autoren: Verena Wyss
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Ellenbogen, wieder diese Verachtung von oben herab:
    »Sie sind zur kleinen Anwältin erzogen und können die wirklichen Strukturen und großen Dimensionen gar nicht überblicken. Gut und Böse sind europäische Fiktionen, es braucht sie, um die hiesigen Demokratien überhaupt betreiben zu können.«
    Ihr Mann hat es Sven ähnlich erläutert, das mit den Asiaten, das mit deren bipolarer Ethik. Etwas vom dunklen Pol, den bloß wir Abendländer nach außerhalb projektierten. »Da kommen Sie mit Ihrem dunklen Pol ja gut zurecht, das ist ja widerlich.«
    »Was weiß so eine kleine Juristin schon von den Sorgen eines großen Unternehmens? Im weltweiten Business wird mit harten Bandagen gekämpft. Die Daten auf dieser CD-ROM sind unsere Trumpfkarte für das nächste Jahrhundert, eine sensationelle Entdeckung, die sich kapitalisieren wird. Ihr Schimpfen geht völlig an der Realität vorbei. Unser Problem ist einzig die Struktur der Demokratie, eine gewisse Legalität, die gewahrt werden muss. Hinderlich sind Leute wie Sie oder dieser Kommissar Dr. Dornbier oder diese Frau Berken, kleinbürgerliche Gesinnung eben.«
    Ich drehe mich nach ihr um, schaue sie mir an. Klein, wie sie ist, wirkt sie sogar in den ungewöhnlich schlampigen Kleidern provozierend dominant. Die blauen Kulleraugen wirken kälter als kalt.
    »Sie täten besser daran, die Sache aufzugeben.«
    »Ich rufe jetzt meinen Mann an. Wir werden die Verbindung so lange offen halten, bis Sie uns diese CD-ROM ausgehändigt haben. Wir haben Ihr Kind. Falls Sie falschspielen, werden Sie seinen langsamen oder auch schnellen Tod miterleben. Es liegt an Ihnen. – Hallo, alles okay? Wir sind jetzt erst eingetroffen, der Verkehr. Es ist niemand zu sehen, wir gehen hinunter. Wie abgemacht, du kannst mithören.« Jetzt redet sie wieder zu mir: »Wir gehen nebeneinander. Falls wir jemandem begegnen, wem auch immer, werden Sie plaudern: Wir haben uns eben beim Weiher getroffen, zufällig. Wir beide sind als Mitglieder der Gesellschaft für Gartenkultur an historischen Bauerngärten interessiert. Es liegt an Ihrer Menschenliebe, niemand Weiteres mit hineinzuziehen, insbesondere Frau Berken nicht. Sie verstehen, was ich meine. Los, gehen wir!« Ihre Stimme wechselt übergangslos in den weichen geschliffenen Ton, der in dieser Situation so höhnisch wirkt: »Übrigens ist Ihnen sicher aufgefallen, dass der Garten der ›Mey-Mühle‹ kulturgeschichtlich wirklich interessant ist, diese fantasievolle Mischung von französischem und englischem Garten, eine Spur Shakers scheint auch darin zu sein.«
    In der Gleichzeitigkeit liegt die ganze Barbarei der Kulturbeflissenen. Alja sollte darüber eine Kolumne schreiben.
    Wir gehen auf dem schmalen Pfad die Wiese hinunter. Ich schleppe an meinem Körper, er ist so schwer, als wäre ich Atlas, ein Atlas, der die Erde trägt und nicht den Himmel.
    Schon sind wir beim schmalen Eingang zu Aljas neuem Sonnengarten. Von hier sind es noch höchstens dreißig Meter bis zur Sonnenuhr.
    Ich schaue, die Augen auf Weitwinkel gestellt; ich sehe die Gärten, den Zufahrtsweg, das Gelände beim Bach, die Gebäude, die Nordwestseite des Hauses. Die Tür zum mit Strohmatten abschattierten Glashaus steht weit offen. Alle Fenster dagegen sind geschlossen, spiegeln den hellen Himmel. Eines der Fenster im oberen Stock, das Gästezimmer, reflektiert milchigweiß, als hinge ein Tüllvorhang dahinter. Da sind doch keine Vorhänge. Kein Auto, alles verschlossen, ein Tüllvorhang – Gott sei Dank, Alja ist da, Claas, Sven oder Knut sind im Haus, sie beobachten uns, ich bin nicht mehr allein. Könnte nicht jemand schon hinter uns oben im Wald sein, wenn möglich Scharfschützen? Wunschdenken.
    * * *
    Chantal Platen-Alt packt meinen Arm fester. »Stehen Sie still. Wo genau befindet sich die CD-ROM?«
    Ich denke an den mithörenden Mattis Platen-Alt, sage: »Gleich hier, im neuen Garten, Sie werden sehen.«
    »Mattis«, anscheinend redet sie ins Handy, »ich nehme an, du hörst mich. Wir betreten das Areal, es scheint sehr nah zu sein, gleich sind wir am Ziel. Ist bei dir alles in Ordnung?« Schon redet sie wieder zu mir: »Wir gehen kein Risiko ein, falls jemand uns folgte oder auf uns warten sollte, ich meine natürlich nicht die Polizei, wie wollte die auch. Ich denke an Leute, die wissen, dass es diese Forschungsdaten gibt und dass wir sie holen, es scheint einige zu geben. Sie sind mein Schutzschild, gut dass Sie so groß sind. Ich werde mich eng mit Ihnen
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