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Todesengel: Roman (German Edition)

Todesengel: Roman (German Edition)

Titel: Todesengel: Roman (German Edition)
Autoren: Andreas Eschbach
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eine vage Handbewegung. »Ich meine, Vorschriften sind dehnbar, und in einer Umbruchszeit wie damals …«
    »Nein. Ich habe meine Pistole abgegeben.« Sassbeck schluckte mühsam. »Wieso fragen Sie mich das alles?«
    »Weil die beiden Jungen mit einer Makarow erschossen wurden«, erklärte der Kommissar. Er hob die Schultern. »Diese Waffe hat anscheinend ein unverkennbares Kaliber, 9,2 mal 18 Millimeter. Unser Ballistiker hat nur einen Blick auf die Kugeln geworfen und Bescheid gewusst.«
    Erich Sassbeck verwünschte den Umstand, so hilflos ans Bett gefesselt zu sein. Er hätte sich zu gerne aufgesetzt, hätte zu gerne …
    »Ich hab Ihnen doch gesagt«, stieß er hervor. »Das war der –«
    »Der Engel. Ja. Das habe ich schon verstanden«, unterbrach ihn der Kommissar. Er schwieg einen Moment, kratzte sich mit einem Finger an der rechten Augenbraue und sagte dann: »Es ist so, Herr Sassbeck, dass ich mit der Geschichte, die Sie mir erzählt haben, ein Problem habe.«
    »Was für ein Problem?«
    »In der U-Bahn-Station Dominikstraße werden die Zugänge und ein Teil der Bahnsteige videoüberwacht.« Er räusperte sich. »Auf diesen Videos ist niemand zu sehen, auf den Ihre Beschreibung auch nur annähernd zutrifft. Da war kein Engel.«
    Erich Sassbeck sah ihn fassungslos an.
    »Aber wer hat dann geschossen?«
    Der Kommissar nickte langsam. »Genau das fragen wir uns.«

3
Ingo erwachte mit schwerem Kopf und verspanntem Rücken. Er blinzelte in das Sonnenlicht, das ihm durch das Fenster direkt ins Gesicht fiel, und begriff, dass er mal wieder auf dem Sofa eingeschlafen war.
    Das wurde allmählich zur schlechten Gewohnheit.
    Er stemmte sich hoch, drehte den Kopf hin und her, bis das Knirschen im Nacken nachließ. Dann brachte er die leeren Flaschen und Gläser in die Küche und ging duschen. Heiß und kalt, und besonders das kalte Wasser half.
    Er blieb erst mal im Bademantel, befüllte seine alte Zwei-Tassen-Kaffeemaschine und schaltete sie ein. Wie so oft, während sie zischend und röchelnd in Gang kam, starrte Ingo die alte Weltkarte an, die an der Wand darüber hing. Er hatte sie damals nur mit Stecknadeln befestigt, vorläufig, bis er einen besseren Platz dafür fand, aber sie hing immer noch da, war im Lauf der Jahre vergilbt und speckig geworden.
    Nach seinem Abschluss an der Journalistenschule hätte Ingo einen Job in Paris haben können, bei der dortigen Niederlassung einer Nachrichtenagentur. Einen Job, der nicht nur in vielerlei Hinsicht interessant gewesen wäre, sondern der ihn wahrscheinlich auch in die Laufbahn eines Auslandsjournalisten katapultiert hätte, wie es immer sein Traum gewesen war.
    Doch damals war er gerade mit Melanie zusammengezogen und hochgradig verliebt gewesen. Als er ihr von dem Angebot erzählte, hatte sie nur mit diesem unnachahmlichen Melanie-Ton in der Stimme gesagt: »Das ist aber nicht dein Ernst?«, und damit war die Sache gestorben. Blutenden Herzens hatte Ingo den Tipp an einen Kommilitonen weitergegeben, Norbert Fiehr, der den Job an seiner Stelle angenommen hatte. Der nachher tatsächlich Auslandskorrespondent geworden war. Ingo hatte den Kontakt mit ihm aufrechterhalten, hatte die Stationen von Norberts Karriere akribisch auf der Weltkarte festgehalten, die nun an seiner Küchenwand hing. Rote Punkte für jeden Ort, an dem Norbert gewesen war.
    Und ein schwarzes Kreuz in Somalia, wo er vor zwei Jahren in einer Schießerei ums Leben gekommen war. Mit gerade mal siebenundzwanzig.
    Ingo wusste immer noch nicht, was er von dieser Geschichte halten sollte. Wenn er zu lange darüber nachdachte, verknotete sich irgendetwas in seinen Eingeweiden.
    Das Brot war schon Tage alt und begann trocken zu werden; höchste Zeit, dass er es aufaß. Er schmierte sich zwei Marmeladenbrote, nahm den Teller und die erste Tasse Kaffee mit an den Schreibtisch und klappte seinen Rechner auf. Er las sich mampfend durch, was er am Vortag geschrieben hatte, und überlegte beim Kaffee, was sich daraus machen ließ, ohne sich zu sehr zu verbiegen. Dass seine Wut über Nacht verraucht war und die Resignation wieder eingesetzt hatte, die sein Leben überwucherte wie unsichtbarer Schimmelpilz, machte es zumindest technisch einfacher.
    Er holte sich die zweite Tasse und ging an die Arbeit. Am Laptop klemmte mal wieder eine Taste, das R diesmal. Eigentlich brauchte er längst ein neues Gerät, aber das war im Moment indiskutabel. Kurz vor elf Uhr hatte er trotz allem einen Artikel der gewünschten
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