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Todesengel: Roman (German Edition)

Todesengel: Roman (German Edition)

Titel: Todesengel: Roman (German Edition)
Autoren: Andreas Eschbach
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Zeilenzahl, der nichts Unwahres sagte und an dem trotzdem niemand Anstoß nehmen konnte, kurz, der dazu beitragen würde, seine Miete zu bezahlen. Er las ihn ein letztes Mal durch und mailte ihn dann an die Redaktion.
    Anschließend checkte er sein Blog, wo er sich manchmal Dinge von der Seele schrieb. Aber seine Seele interessierte niemanden; die Zugriffszahlen waren nach wie vor enttäuschend gering, und kommentiert hatte auch wieder keiner.
    Das Telefon klingelte. Bestimmt Rado , dachte Ingo, ehe er abnahm, und natürlich war er es. »Bist du wach?«, rief der Redakteur, der an der Strippe immer klang, als sei er auf Speed.
    »Hast du meinen Artikel nicht gekriegt?«, fragte Ingo zurück.
    »Deswegen ruf ich an. Den muss ich erst mal auf Eis legen.«
    Ingo spürte eine Ader in seinem Ohr so laut pochen, dass er sie hören konnte. Es war immer dasselbe: Erst wurde ein Artikel auf Eis gelegt , weil andere Themen wichtiger oder dringlicher waren oder beides, später hieß es dann mit Bedauern, er sei nicht mehr aktuell . Weswegen er nur das Ausfallhonorar bekam. Und das auch nur, wenn er Glück hatte.
    »Und wieso?«
    »Du hast die neueste Schlagzeile deiner Lieblingszeitung also noch nicht gesehen.«
    »Hätte ich sollen?« Ingos Finger waren schon in Bewegung, riefen den Browser und die Website des Abendblatts auf.
    »Ein Fall von Selbstjustiz, letzte Nacht«, erklärte Rado genüsslich. »So richtig Charles-Bronson-mäßig. Und wir waren die Ersten, die es gebracht haben. Nicht zuletzt dank meiner Genialität, wie üblich. Heute Abend dürfte die gedruckte Ausgabe weggehen wie geschnitten Brot.«
    Jetzt sah Ingo, was Rado meinte. Der Aufmacher belegte den halben Bildschirm: SAH DIESER RENTNER ROT?, schrie die erste Zeile neben dem Foto eines älteren Mannes, und die zweite: 2 JUGENDLICHE ERSCHOSSEN.
    »Sobald ich dazu komme, werde ich vor Bewunderung auf die Knie sinken«, erwiderte Ingo grimmig. »Falls du deswegen angerufen hast.«
    »Quatsch. Ich ruf an, weil ich will, dass du das Amtsgericht und all den anderen Tüddelkram vergisst und dich vorrangig um diese Sache kümmerst.«
    »Was gibt’s da noch zu kümmern?«
    »Details. Neue Aspekte. Mein Job ist die große Linie, die Strategie. Und ab und zu ein Geniestreich, um mein exorbitantes Gehalt zu rechtfertigen.«
    Ingo verdrehte die Augen. »Okay. Und wieso ich?«
    »Na, zum Beispiel, weil es bei dir in der Nähe passiert ist. U-Bahn-Haltestelle Dominikstraße. Da wohnst du doch, oder?«
    Ingo fiel das Blaulicht wieder ein, der Streifenwagen, der Krankenwagen. Mist! »Kann ich von meinem Fenster aus sehen.«
    »Also. Ich denke, das müsste eine Story nach deinem Geschmack sein, oder?«
    Da war sich Ingo noch nicht so sicher. Er starrte auf den Monitor, auf die Fotos der beiden Jugendlichen und des Rentners. Letzteres sah aus wie aus einem Pass kopiert. »Was ist überhaupt passiert?«
    »Also – heute in aller Frühe kommt ein Polizeibericht per Mail an alle Medien. Ein gewisser Erich S., sechsundsiebzig, ist bewusstlos und mit Verletzungen, die möglicherweise von einer Schlägerei herrühren, auf dem U-Bahnsteig aufgefunden worden, zwischen zwei erschossenen Jugendlichen, beide neunzehn. Tathergang unklar, keine Zeugen, und die Videokameras haben in die falsche Richtung geguckt.«
    »Wow«, sagte Ingo, die Schlagzeile vor sich. »Daraus so eine Meldung zu dichten ist aber verdammt riskant, wenn du mich fragst.«
    »Warte, ich bin noch nicht fertig. Schlau, wie ich bin, hab ich mir nämlich die Mühe gemacht, auf die Internetseite der Polizei zu gehen. Dort stand dasselbe, aber unmittelbar davor ein Aufruf, dass nach einer Makarow-Pistole gefahndet wird, die eventuell in der Dominikstraße oder Umgebung weggeworfen wurde.«
    Ingo hob die Augenbrauen. »Die Tatwaffe.«
    »Bingo. Jetzt musst du wissen, dieser Pistolentyp – Makarow PM – war die Standard-Handfeuerwaffe der Streitkräfte der Ostblockstaaten. Die hat ein ungewöhnliches Kaliber; ein Fachmann erkennt das wohl auf den ersten Blick. Oha, denkt der Sohn meiner Mutter, angenommen, dieser Erich S. ist ein ehemaliger DDR-Grenzer, der noch so ein Ding zu Hause rumliegen hatte? Google verrät mir, dass es eine Ehemaligenorganisation gibt. Die haben eine Website und ein Verzeichnis. In dem finde ich mehrere Dutzend Namen, die man mit Erich S. abkürzen könnte, aber ich mach mir die Mühe, ein bisschen über Telefonbuch und Stadtplan zu brüten, und was finde ich schon beim zweiten Namen? Eine Evelyn
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