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Todesengel: Roman (German Edition)

Todesengel: Roman (German Edition)

Titel: Todesengel: Roman (German Edition)
Autoren: Andreas Eschbach
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gut weg. Einer von denen halt, die damals an der innerdeutschen Grenze nur darauf gelauert hatten, Republikflüchtlinge abzuknallen. Der nun auch noch Rente vom deutschen Staat kriegte.
    Der größte Teil der Artikel war tatsächlich den zwei toten Jugendlichen gewidmet, die als Philipp F. und Dardan A. bezeichnet wurden. Beide hatten viele Geschwister gehabt, die nun von den guten Seiten ihrer dahingeschiedenen Brüder erzählten: dass sie Fußballfans gewesen seien, gern Musik gehört und darauf gehofft hätten, endlich eine Lehrstelle zu finden. Die reinsten Engel. Nur das Abendblatt erwähnte, dass der aus Albanien stammende Dardan A. schon einmal wegen Körperverletzung zu einer sechsmonatigen Bewährungsstrafe verurteilt worden war und dass gegen Philipp F. mehrfach Schulverbote verhängt worden waren, weil er Mitschüler attackiert hatte. Das hatte auch so im Polizeibericht gestanden, wie Ingo durch einen raschen Vergleich mit der Website der Polizei feststellte. Aber so, wie es Rado geschrieben hatte, klang es fast niedlich, so nach Wir haben alle unsere kleinen Fehler .
    Genug, sagte er sich. Zeit, Hektik zu entfalten. Ingo rief das Telefonbuch auf, suchte und fand die Nummer von Evelyn Sassbeck, Brunnerstraße 50, griff nach dem Telefon und wählte.
    Es klingelte lange, dann meldete sich eine dunkle Frauenstimme. »Sassbeck?«
    »Guten Tag«, sagte Ingo rasch und in seinem verbindlichsten Tonfall, »mein Name ist Ingo Praise, ich bin Journalist und rufe –«
    »Ihr seid alles Schweine!«, fauchte die Frau und knallte den Hörer auf.
    Na super. Ingo legte das Telefon beiseite, lehnte sich zurück und rieb sich mit den Händen übers Gesicht. Das war unüberlegt gewesen. Klar, dass sie nach der Nummer, die Rado bei ihr durchgezogen hatte, nicht mehr gut auf Journalisten zu sprechen war.
    Was im Umkehrschluss hieß, dass sie schon mitgekriegt haben musste, was die Onlineausgaben der Zeitungen schrieben. Ingo kehrte zurück zu den Meldungen, versuchte einen Hinweis zu finden, seit wann diese draußen waren. Allzu lange konnte das noch nicht her sein; das ging heutzutage viel schneller als früher. Gedruckt würde die Nachricht erstmals heute im Abendblatt erscheinen, und wenn den Tag über nicht mindestens ein Staatsstreich passierte, war die Geschichte garantiert morgen früh in allen übrigen Blättern der Aufmacher.
    Und er startete erst jetzt ins Rennen. Da musste er sich echt was einfallen lassen.
    Er sprang auf, schnappte seine Umhängetasche vom Haken und machte sich ausgehfertig: Laptop ausstöpseln und in das mittlere Fach. Handy und Fotoapparat in die beiden aufgesetzten Taschen vorne. Notizblock, mehrere Stifte, Netzteil (die Batterie des Laptops war natürlich längst hinüber), Kabel und sonstiger Kleinkram war immer drin. Er verließ das Haus selten ohne dieses lederne, abgewetzte, aber unkaputtbare Ungetüm.
    Ah, halt. Er zog den Unterschrank mit den Hängemappen auf. Was er noch brauchte, war –
    Das Telefon klingelte wieder. Die Sassbeck, die es sich anders überlegt hatte? Oder ihn wüst beschimpfen wollte?
    Nichts dergleichen. Es war Melanie. Und alles, was sie sagte, war: »Macho!«
    »Nein«, rief Ingo.
    »Doch.«
    Macho war Melanies Papagei. Ein mittlerweile vierzehn Jahre alter Kongo-Graupapagei mit, vorsichtig ausgedrückt, eigenwilligen Manieren, den Melanie von einer Freundin übernommen hatte. Angeblich litt der Mann, den besagte Freundin damals hatte heiraten wollen, an Allergien, die nicht zur Haltung dieser Art Tiere passten, aber Ingo hegte bis heute den Verdacht, dass ihr einfach die viele Arbeit damit lästig geworden war. Zumal aus der Heirat nichts geworden war.
    Macho war schlau genug, den Verschluss seiner Voliere zu öffnen, wenn dieser nicht durch ein Schloss gesichert war. Und wenn er es schaffte, das Wohnzimmer zu verlassen, konnte es zur tagesfüllenden Aufgabe ausarten, ihn wieder einzufangen. Wäre Melanie in praktischen Dingen so penibel gewesen wie bei ihren literaturtheoretischen Arbeiten, bei denen sie jedes Wort mehrmals umdrehte, hätte das kein Problem dargestellt, aber so war es eben nicht.
    »Ich hab keine Zeit«, erklärte Ingo und bemühte sich, unerbittlich zu klingen. »Null. Nada. Niente.«
    »Aber du bist der Einzige, auf den er hört!« Es klang wie ein Vorwurf. So, als sei es seine Idee gewesen, das blöde Vieh anzuschaffen.
    »Was ist mit deinem Matschi?«, fragte Ingo, die Hand über den Hängemappen. Was hatte er noch mal gesucht? »Wird Zeit,
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