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Todesengel: Roman (German Edition)

Todesengel: Roman (German Edition)

Titel: Todesengel: Roman (German Edition)
Autoren: Andreas Eschbach
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Sassbeck, wohnhaft Brunnerstraße.«
    Ingo stutzte. »Das ist auch hier in der Nähe.«
    »Merkst du was?« Rado war in seinem Element. »Ich nicht faul, rufe bei der an und tue so von wegen, ich hätte das gehört mit Erich, und sie heult gleich los – da war klar: Treffer, versenkt. Der Mann war nach einem Besuch bei Schwiegertochter und Enkel auf dem Heimweg. Liegt jetzt im Ringkrankenhaus und wird abgeschirmt. Aber er hat sie frühmorgens angerufen und gesagt, er bräuchte einen Anwalt.«
    »Einen Anwalt? Wozu das denn?«
    »Na, was denkst du, wie sich die Polizei die Sache erklärt?«
    »Dass er geschossen hat?« Das war ja noch unglaublicher als Rados infame Methoden. Über die nachzudenken Ingo sich abzutrainieren versuchte.
    »Hundert Punkte. Der Mann hat ein Einzelzimmer und einen Polizisten vor der Tür. Ich hab Kleemann hingeschickt, aber der hat nichts erreicht. Kein Herankommen, meint er. Zutritt nur für medizinisches Personal, Anwalt und Familienangehörige.« Rado seufzte. »Na ja, du kennst ja Kleemann. Keine Fantasie, der Mann.« In verschwörerischem Ton fuhr er fort: »Deine Chance, es besser zu machen.«
    Oha. »Ist das ein Auftrag?«, fragte Ingo.
    »Doppelter Satz, wenn ich für die Printausgabe morgen Abend einen Artikel habe, in dem mehr steht als das, was alle anderen schreiben«, antwortete Radoslav. »Die konzentrieren sich auf die toten Jugendlichen, rennen den Angehörigen die Bude ein. Aber das interessiert mich nicht. Mich interessiert der Alte. Ich träume von einem Exklusivinterview, am besten eins mit dem Tenor: Seit 23 Uhr 30 wird zurückgeschossen.« Er lachte lauthals.
    »Du bist wirklich völlig moralfrei«, stellte Ingo fest.
    »Das Geheimnis meines Erfolges«, erwiderte Rado unbeeindruckt. »Also, du weißt Bescheid. Ich zähl auf dich.«
    »Und mein Artikel über die Verhandlung gestern?«, fragte Ingo schnell, ehe Rado auflegen konnte.
    »Ähm, ach so …?« Rados Stimme bekam diesen angeekelten Klang, wie immer, wenn ihm etwas lästig war. »Ist mir zu zahm, ehrlich gesagt. Ist mal wieder so ein Artikel, der mich denken lässt, du solltest statt zu schreiben besser was anderes –«
    »Vergiss es«, sagte Ingo entschieden. »Kein Fernsehen.« Während seines Studiums an der Journalistenschule hatte Ingo eine nachmittägliche Spieleshow für Kinder moderiert, ein dämliches Format, das aber aus ihm unerfindlichen Gründen ziemlich populär gewesen war. Ingo war dazu gekommen wie die Jungfrau zum Kinde – genau genommen hatte er auf der Suche nach einem Volontariat nur die falsche Tür aufgemacht –, und er hatte es gemacht, um die happigen Studiengebühren zahlen zu können. Seither verfolgte ihn das.
    »Wir brauchen einen neuen Moderator für unsere ›Anwalt‹-Reihe«, nervte Rado unverdrossen weiter. »Thorsten Kunze will nämlich aufhören.«
    »Kann ich gut verstehen«, erwiderte Ingo. »Die Reihe ist ja nur peinlich.«
    »Ich dachte mal wieder an einen Titelwechsel. ›Anwalt der Jugend‹, wie klingt das?«
    »Genauso bescheuert wie ›Anwalt der Bürger‹.«
    »Hey, ich versuch nur, dir zu helfen.«
    »Vergiss es. Fernsehen ist Schrott. Ich mach das nicht noch einmal. Wenn du mir helfen willst, dann druck meine Artikel.«
    Rado seufzte abgrundtief. »Na schön. Ich schau mal, wo ich den hier verbuddle. Du kriegst dein Geld, keine Sorge. Kümmer dich um Sassbeck, und alles wird gut.« Zack, aufgelegt.
    Ingo legte auch auf. Du kriegst dein Geld, keine Sorge . Das sagte Rado in solchen Fällen immer, aber meistens versandete die Sache dann doch irgendwie.
    Er sah aus dem Fenster. Unten vor dem Abgang zur U-Bahn stand ein weißer Lieferwagen, völlig neutral, und ein Teil der Treppe war mit Absperrband gesichert, das schwarz-gelb im Wind flatterte. Die Spurensicherung war also noch zugange.
    Er kehrte an seinen Computer zurück, las die Meldung hinter der Schlagzeile und dann rasch, was die anderen Zeitungen schrieben. Die hatten sich alle auf dieselbe Linie eingeschossen: Der Rentner Erich S., hieß es, sei belästigt , angepöbelt oder tätlich angegriffen worden. Ingo merkte förmlich, wie sein Blutdruck mit jedem der Artikel stieg. Wie konnte jemand, der sich Journalist nannte, in einem Satz das Wort belästigt verwenden und im nächsten ungerührt schreiben, dass man den Mann ins Krankenhaus hatte bringen müssen?
    Immerhin: Rado hatte wenigstens von einem gewalttätigen Übergriff der Jugendlichen auf den alten Mann geschrieben.
    Ansonsten kam Erich S. nicht
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