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Todesengel: Roman (German Edition)

Todesengel: Roman (German Edition)

Titel: Todesengel: Roman (German Edition)
Autoren: Andreas Eschbach
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gefunden hatte, ins Freibad zu gehen. Und in eine Straßenwirtschaft hatte er es auch kein einziges Mal geschafft.
    Tatsächlich, ein Krankenwagen. Zwei Sanitäter in orangeroten Jacken holten eine Trage heraus, eilten damit die Treppe hinab.
    Ein Unfall also. Ingo überlegte, ob er Rekorder und Kamera schnappen und hinuntergehen sollte. Wenn er schon mal einen Fall frei Haus geliefert bekam. Dann fiel ihm wieder ein, dass ihm Kollegen immer rieten, nicht so besessen zu sein. Was je nach Sachlage hieß, so zu schreiben, dass es den großen Anzeigenkunden gefiel, oder die Kunst zu verfeinern, Pressemitteilungen so umzuformulieren, dass sie sich wie richtige Artikel lasen, aber nur zehn Prozent der sonst dafür nötigen Arbeit machten.
    Also: nein. Wenn er mit einem Fünfzeiler über einen Unfall in der U-Bahn ankam, würde er nur seinen eigenen Marktwert senken.
    Obendrein war ihm zu kalt. Hing vielleicht mit dem Rotwein zusammen. Er schloss das Fenster wieder und leerte den Rest der Flasche in sein Glas. Während der Computer herunterfuhr, schaltete er die Stereoanlage ein. Er hatte ein paar neue Alben heruntergeladen, die es zum Aktionspreis gegeben hatte, aber nach kurzem Überlegen entschied er sich für eine alte CD von U2. I Still Haven’t Found What I’m Looking For – das war jetzt genau das, was er brauchte.
    Die Nachtschicht war ihr vorgekommen wie die ideale Gelegenheit, erst recht, wenn das Krankenhaus, wie heute, Notaufnahme hatte. Da gab es immer so viel zu tun, dass niemand mitkriegen würde, was sie tat. Leichtes Spiel also.
    Zumindest hatte Theresa Diewers sich das so überlegt.
    Und dann das.
    Zuerst war es ein ganz normaler Notfall gewesen. So einer, bei dem diensthabende Ärzte rennen, Türen krachen, aufgeregte Stimmen durch die Flure hallen. Not-OP, hatte Theresa nur gedacht und sich weiter ihren Patienten gewidmet. Die Station war gut gefüllt, viele der Frischoperierten unruhig, sodass auch nach Mitternacht keine wirkliche Ruhe einkehrte.
    Doch dann stand plötzlich dieser Polizist vor ihr und fragte nach einem Getränkeautomaten. Ein breitschultriger Mann, Mitte dreißig, mit Grübchen auf den Wangen, in Uniform und Lederjacke. Sie erklärte ihm den Weg. Als er endlich ging und sie seine Schritte über den lackierten Boden davonquietschen hörte, musste sie sich setzen, weil ihr am ganzen Körper der Schweiß ausgebrochen war.
    Sie sagte sich etwa hundertmal, dass die Polizisten aufgrund des Notfalls da waren. Sie bewachten jemanden. So etwas kam vor. Nicht oft, aber sie hatte es schon erlebt. Die waren nicht wegen der kleinen weißen Pappschachtel in Theresas Rucksack hier, garantiert nicht. Davon ahnten die nicht einmal was.
    Trotzdem schwitzte sie.
    Dass das aber auch ausgerechnet heute passieren musste!
    Es war eine so günstige Gelegenheit gewesen; eine, die sie sich unmöglich hatte entgehen lassen dürfen. Biene und Nessi hatten in der Spätschicht angefangen, den Arzneischrank auszumisten. Natürlich nicht, weil sie nichts Besseres zu tun gehabt hätten, sondern weil die Apothekerin die Station zum dritten Mal angemahnt hatte und diesmal in einem Ton, der klarmachte, dass keine Ausreden mehr akzeptiert wurden. Und natürlich waren Biene und Nessi nicht fertig geworden. Deswegen stand die Kiste mit den abgelaufenen Medikamenten zur Rückgabe an die Krankenhausapotheke immer noch im Stationszimmer.
    Es war die einfachste Sache der Welt gewesen. In einem unbeobachteten Moment hatte Theresa den Betäubungsmittelschrank aufgeschlossen, eine Schachtel Morphiumtabletten herausgenommen, als abgelaufen in die Liste eingetragen und, anstatt sie in die Metallkiste mit dem Apothekenzeichen auf dem Deckel zu stecken, in ihrem Rucksack verschwinden lassen.
    Es war ja für einen guten Zweck, sagte sie sich. Und es würde niemandem auffallen. Die Apotheke war genauso unterbesetzt wie die Stationen. Die würden das Zeug einfach in den Sondermüll kippen, die Liste abheften und nicht weiter drüber nachdenken. Selbst in dem unwahrscheinlichen Fall, dass jemand kam, um nachzufragen, brauchte sie nur stur zu behaupten, nicht zu wissen, wie die Packung verschwunden sei. Bis die Arzneikiste zurück in der Apotheke war, würden Dutzende von Leuten darauf Zugriff gehabt haben, und bestimmt würde sie nicht die ganze Zeit abgeschlossen sein. Es gab hundert Möglichkeiten, wie so etwas passieren konnte, und keine, die nicht schon irgendwann mal passiert war.
    So hatte sich Theresa das zurechtgelegt gehabt.
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