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Tod in der Walpurgisnacht

Tod in der Walpurgisnacht

Titel: Tod in der Walpurgisnacht
Autoren: K Wahlberg
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sie die Berichte von dort holen, und so weit war sie noch nicht. Gewisse Informationen konnte sie unter der Rubrik »Frühere Erkrankungen« dem gewöhnlichen Laufzettel entnehmen, der zusammen mit der Einlieferung erstellt worden war, sofern der betreffende Arzt die Zeit gehabt hatte, danach zu fragen.
    Das erste Mal, dass ihre Mutter im Krankenhaus gelegen hatte, war zwei Tage im Zusammenhang mit einer Appendektomie, einer Blinddarmoperation aufgrund einer Appendizitis, einer Blinddarmentzündung, gewesen. Nicht der Rede wert. Erst beim nächsten Krankenhausbesuch war alles schiefgegangen. Mit einem Mal tanzten eigene Erinnerungen vorbei. Flimmerten, manche in Farbe, wie bei einem Film, andere schwarzweiß, aber zumeist in Form von Lauten und Lautbildern. Immer schneller lief der Film, ruckartig und unzusammenhängend, während sie aufzunehmen versuchte, was dort in dem Bericht stand. Ihr Herz pochte. Sie blätterte, las und hielt plötzlich inne. Sie war dabei gewesen!
    Das war also nichts, was sie sich nur eingebildet oder geahnt hatte. Sie sollte sich wirklich daran erinnern, aber es gelang ihr nun mal nicht. Es stand im Text. »In Begleitung einer minderjährigen Tochter«.
    Warum hatte die Mutter sie mitgenommen? Gab es vielleicht niemanden, der auf sie hätte aufpassen können?
    Blitzartige Erinnerungsfetzen nahmen immer mehr Form an. Die Mutter auf der Trage, bleich, weiß. Und noch eine Person. Wer war das? Ein Mann im Anzug? Kleinkariertes Jackett. Hahnentrittmuster – ein Wort, das sie damals nicht beherrschte, aber sie erinnerte sich an das Muster.
    Auf jeden Fall hatte sie auf einem Stuhl in der Ecke gesessen. Ein harter Stuhl. Saß sie da allein im Behandlungsraum, währen d ihre Mutter im Sterben lag? Das konnte sie sich nicht vorstellen. Das wäre doch nicht normal! Sie musste das herauskriegen. Vielleicht mit Veronika sprechen, falls die sich erinnerte.
    Dann hatte jemand sie hinausbegleitet, daran erinnerte sie sich. Eine Krankenschwester, die nett gewesen war und ihr einen Apfel gegeben hatte. Stimmte das, oder war das nur ein Wunschtraum? Dass nette Menschen sich um Mama gekümmert hatten und auch um sie und dass alles gut werden würde?
    Haben sie das gesagt? Haben sie überhaupt gesagt, was werden würde? Haben sie gelogen? Betrogen?
    Sie rollten Mama auf einer Trage davon, es war Trubel, und sie war nicht sicher, ob es Mama war, da waren so viele andere kranke Menschen. Die Leuchtstoffröhren an der Decke blendeten, glatte graue Wände im Korridor, auf denen der Blick ausrutschte. Sie fuhren mit Mama weg, weil mit dem Blut etwas nicht in Ordnung war. Das war ernst. Schlechtes Blut. Hatten sie wirklich Blutvergiftung gesagt?
    Damals wie heute brach Chaos im Gehirnkontor aus. Sie hatte sich geweigert zu verstehen, was da geschah. Eine Mutter konnte doch nicht sterben, das war unmöglich. Und schon gar nicht, wenn Papa bereits tot war.
    Schließlich fiel ihr Blick auf die Diagnose, und etwas in ihr gab nach. Diese Diagnose hatte überhaupt nichts mit einer Infektion zu tun, damit, dass Bakterien das Blut angegriffen hätten. Kein einziges Wort von Blutvergiftung. Von Sepsis.
    Zum Teufel, man hatte ihr direkt ins Gesicht gelogen, all die Jahre! Warum nur?
    Der Zorn kochte in ihr hoch. Die große Wut. Sie war betrogen worden. Es war nie schön, sich betrogen zu fühlen. Ihr Herz hämmerte. Sie hob den Kopf und starrte geradewegs an die Wand, während sie sich zu beruhigen suchte. Dann konnte sie nicht mehr.
    Das Herz nahm Fahrt auf, es schmerzte in der Brust. Das Blut schoss ihr in den Kopf. Plötzlich war es, als würde etwas bersten, und ein weißes, sprühendes Licht explodierte vor ihren Augen. Sie holte Luft und fing an, heftig zu blinzeln. Wie Scheibenwischer im Platzregen sausten die Augenlider auf und ab, aber das Flimmern blieb.
    Sie war wie geblendet, aber das Lichtphänomen rührte nicht von einer Lampe oder einem Scheinwerfer, sondern kam von innen, vom Gehirn und den Sinneszellen. Flimmerskotom, eine Aura, dachte sie. Die Warnung vor einem Migräneanfall, allerdings würde es ihr erster sein. Die Kopfschmerzen folgten, das wusste sie, und die konnten so explosiv sein, dass der Betroffene gezwungen war, sich bei vorgezogenen schweren Gardinen ins Bett zu legen, mit einem Eimer daneben, in den er reinkotzen konnte.
    Aber noch war sie nicht so weit.
    Der Sternenregen rieselte über die Aktenmappen, breitete sich über den Schreibtisch und am Computer vorbei aus, um schließlich über
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