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Tod in der Walpurgisnacht

Tod in der Walpurgisnacht

Titel: Tod in der Walpurgisnacht
Autoren: K Wahlberg
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nun Lust hatte oder nicht.
    Ergeben starrte sie auf die drei hohen Aktenstapel, die sich vor ihr auf dem Schreibtisch türmten. Ihr Interesse für das, was sich in den braunen Mappen verbarg, war mäßig. Sie ließ die Schultern hängen, spürte aber, dass sie trotz allem etwas antrieb, vielleicht eine allgemeine Neugier. Oder etwas Unausgesprochenes, wie ein leichtes Kitzeln mit einer Feder an der Wange. Irgendetwas, was immer es war. Wir werden sehen, dachte sie.
    Die Akten waren unterschiedlich dick. Einige Patienten hatten es sogar auf zwei Mappen gebracht, richtig schlimme Dinger, die so dick und bleischwer waren, dass es die Umschläge sprengte und sie mit dicken Gummibändern zusammengehalten werden mussten.
    Sämtliche Akten waren nur für sie aus dem Archiv geholt worden, und es warteten noch mehr auf sie. Ihr Name, Hilda Glas, stand auf allen Ausleihkarten, die die Aktenmappen jetzt in den Regalen ersetzten. Sie hatte sich vorbereitet und die Stapel schon am Tag zuvor geholt, hatte sie in Stahlkörbe gelegt und zum Schreibtisch gerollt. Die Arbeit musste in der Klinik geschrieben werden, weil die Akten das Krankenhaus nicht verlassen durften. Die administrative Station wurde am Abend abgeschlossen, und nur Personen mit entsprechenden Codekarten hatten Zutritt.
    Diese Krankenakten waren älteren Datums, denn sonst hätte es sie schon in digitaler Form gegeben. Vor etwa zehn Jahren hatte man im Krankenhaus Oskarshamn das elektronische System eingeführt.
    Auf der Vorderseite der Mappen war jeweils ein kleines Kreuz zu sehen, das man mit Kugelschreiber oder schwarzer Tinte aufgemalt hatte. Daneben stand ein Datum – das Todesdatum. Allen Patienten, die zu ihrer schlichten wissenschaftlichen Arbeit gehörten, war gemeinsam, dass sie tot waren.
    Sie verglich die verschiedenen Aktentexte nach einem festgelegten Protokoll mit dem, was kurz gefasst in der Aussage über die Todesursache stand. Dieser Text, der inzwischen aus dem Computer geholt wurde, musste immer von Ärzten ausgefüllt und dann innerhalb von drei Wochen nach dem Todesdatum an die statistische Abteilung des Sozialamtes geschickt werden. Eine Kopie davon wurde in der Akte aufbewahrt. Die fand sie meist ganz hinten zwischen Laborlisten und Antworten von Bakteriologen, Zytologen, Pathologen und anderen externen Instanzen. Stimmte der Text mit dem in der Krankenakte überein? Ihre Aufgabe war es unter anderem, das zu kontrollieren.
    Die Vorgehensweise bei ihrer Arbeit war in Zusammenarbeit mit ihrem Doktorvater in Lund geplant worden. Alle Formalien waren geklärt, die Studie war von der ethischen Kommission genehmigt. Ihr Doktorvater war ein mäßig engagierter fünfzigjähriger Chirurg, den sie nicht unnötig mit Fragen belästigte. Sie hatte das Gefühl, nicht einschmeichelnd genug zu sein, um ihm wirklich angenehm zu sein.
    Jetzt gähnte sie zum tausendsten Mal und streckte sich mit schlafwandlerischer Sicherheit nach der obersten Krankenakte. Sie war dünn. Das wird schnell gehen, dachte sie. Wahrscheinlich keine chronischen Krankheiten oder komplizierte Verläufe, die sie nachvollziehen musste.
    Ein Lastwagen oder ein anderes schweres Gefährt nahm unten im Schneematsch langsam Fahrt auf, während sie sich auf das Geburtsjahr auf dem Umschlag konzentrierte. Der Stift ruhte in ihrer Hand, und sie setzte die Spitze auf dem Papier auf, um das Datum zu notieren.
    Doch sie hielt mitten in der Bewegung inne. Der Name blendete sie. »Clarissa Andersson-Glas«. Sie rang nach Luft. Hielt dann den Atem an und starrte noch einmal auf die Personennummer. Fokussierte nochmals.
    Doch, es stimmte! Auf jeden Fall die ersten sechs Ziffern: Jahr, Monat und Tag. Die Krankenakte ihrer Mutter!
    Sie erstarrte, ihr Inneres wurde zu Magma. Ein heißer, dampfender und glühender Lavastrom wallte auf und fand keinen Weg hinaus. Weil ihr nichts anderes einfiel, blieb sie einfach sitzen. Sie war vollkommen überrumpelt, und die Verwirrung wurde noch größer, als sie den Namen der Ärztin las, die den Bericht diktiert hatte. Veronika Lundborg-Westman, dieselbe Oberärztin, mit der sie jetzt das Büro teilte. Allerdings hatte diese seither einen Nachnamen verloren, wahrscheinlich hatte sie sich scheiden lassen. Ein Oberarzt wurde in dem Text auch schon in der ersten Reihe genannt: Elof Tingström. Soweit sie wusste, arbeitete er nicht mehr in der Klinik.
    Sie hatte selbst entschieden, das PJ in ihrer Heimatstadt abzuleisten, und sie hatte auch ihr Forschungsgebiet nach
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