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Tod in der Walpurgisnacht

Tod in der Walpurgisnacht

Titel: Tod in der Walpurgisnacht
Autoren: K Wahlberg
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alles zu regnen, auf das sie zufällig den Blick lenkte.
    Plötzlich zog es in den Eingeweiden. Angst, dachte sie. Nicht jetzt! Sie hielt dagegen. Lange, ruhige Atemzüge.
    Sie musste raus. Fuhr hoch und machte ein paar Schritte Richtung Flur und Toilette, um sich das Gesicht mit kaltem Wasser zu waschen, aber sie torkelte und schlug gegen die Wand, die Schulter schmerzte. Schnell versuchte sie sich wieder zu setzen, aber die Rollen unter dem Stuhl bewegten sich, und sie stürzte, musste sich schwindelig wieder aufrappeln, um sich schließlich doch zu setzen. Sie tastete nach dem Telefon auf dem Schreibtisch, konnte aber die Tasten nicht klar erkennen. Schaffte es nicht, mit den Fingerspitzen zu fühlen, sondern gab auf und ließ den Kopf hängen.
    Die Wangen brannten. Wenn jetzt Veronika Lundborg plötzlich hereinkam und sie in dieser peinlichen Situation vorfand? Sie wollte das nicht erklären müssen. Sie wollte sich nicht lächerlich machen. Wollte nicht anders sein oder in irgendeiner Weise schwierig wirken.
    Sie hob den Kopf und drehte ihn in verschiedene Richtungen. Das Licht blendete unvermindert scharf und weiß, was auch immer sie tat. Ihr Magen krampfte sich zusammen. Keine Angst! Sie tröstete sich damit, dass sie schließlich noch jung war. Aber Jugend schützt nicht vor allem Bösen!
    Vor ihrem inneren Auge tauchte eine siebzehnjährige Gymnasiastin auf. Es war im Universitäts-Krankenhaus Lund gewesen, und sie selbst war Medizinstudentin, als die Frau mit einem Flimmerskotom in die Ambulanz stolperte. Das Gesicht gequält. Die Migräne war immer noch nicht gekommen. Noch hielt die Wand des ausgebeulten Blutgefäßes im Gehirn. Die Eltern kamen ein paar Schritte dahinter. Keiner ahnte, was geschehen würde.
    Kurz darauf setzten bei der Patientin die Kopfschmerzen ein, stechend und quälend. Das war keine Migräne. Wenn es überhaupt je eine gewesen war. Die junge Frau verlor das Bewusstsein, die CT-Bilder zeigten eine große Hirnblutung, und sie wurde augenblicklich in die neurochirurgische Operationsabteilung gerollt. Ein Aneurysma. Die Blutung wurde gestillt, das Gefäß repariert, aber Hilda erfuhr nie, wie es danach weitergegangen war.
    Hatte sie selbst eine dünnwandige Ausbuchtung in einer Hirnarterie, die bisher keinerlei Symptome gezeigt hatte?Aber sie hatte keine anderen Symptome außer das Flimmern. Ein wenig Herzrasen.
    Sie lehnte sich im Stuhl zurück und wartete.
    Sie hatte kein Zeitgefühl. Wahrscheinlich waren nur ein paar Minuten vergangen, als das Flimmern allmählich weniger wurde. Sie ahnte, dass es bald vorübergehen würde. Auf der administrativen Station war immer noch nichts los. Im Zimmer der Sekretärinnen klingelte ein Telefon, das war alles.
    Um etwas zu tun zu haben, zog sie das Handy aus der Tasche und hielt es eine Weile in der Hand, um es dann wieder zurückzustecken. Sie hatte die Telefonnummer von Sam ohnehin nicht im Kopf und auch nicht im Handy abgespeichert. Um nach der Nummer im Internet zu suchen, konnte sie nicht genug sehen. Jetzt nicht. Später würde sie versuchen, ihn zu erreichen.
    Samuel war der einzige Mensch auf der Welt, der sie ohne viele Worte verstehen würde. Ihre einzige echte Verbindung in die Vergangenheit. Es würde genügen ihm zu sagen, wessen Krankenakte sie da in Händen hielt, dann würde er verstehen. »Verdammte Scheiße«, würde er sagen. Dann würden sie beide schweigen.
    Wo war er bloß? Es war fast zwei Jahre her, seit sie das letzte Mal Kontakt hatten, und das war nicht nur positiv gewesen. Unglaublich, wie viel Dreck aufgewirbelt wurde, wenn sie an ihn dachte, alles unsortiert und brackig. Mit Sam war es immer auf und ab gegangen, deshalb hatte Mama ihn nicht in den Griff gekriegt. Aber die Familie in Kalmar glaubte an ihn. Ob er sich wohl in Stockholm hatte fangen können?
    Die Sehnsucht schmerzte, Sehnsucht nach Samuel. Zerrissen und hoffnungslos und wahrscheinlich völlig sinnlos. Aber stark. Der Name der Mutter und ihre Personennummer, mit einer altmodischen Schreibmaschine auf einen weißen Klebezettel geschrieben, leuchtete ihr von einem achtzehn Jahre alten Krankenbericht entgegen.
    Damals war sie in die zweite Klasse gegangen, und wenn man genauer bedachte, mit welcher Katastrophe alles begonnen hatte, waren es sogar achtzehneinhalb Jahre gewesen. Es war im Herbst passiert. Vielleicht hatte sie damals schon blinde Flecken in der Erinnerung. Aber es war wohl das andere große Ereignis, das ihr widerfahren war, das sie
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