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Tod in der Walpurgisnacht

Tod in der Walpurgisnacht

Titel: Tod in der Walpurgisnacht
Autoren: K Wahlberg
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leuchtend grün hinter den Ohren, und sie unternahm auch nichts, um das zu verbergen. »Ein Mädelchen«, hatte ein Patient zu seiner Frau gesagt, als er sich außer Hörweite glaubte. Er klang dabei nicht gemein, und ihr selbst war durchaus klar, dass sie Unerfahrenheit ausstrahlte.
    Sie sah kurz auf die Uhr und zog dann ihre Codekarte für die Tür zur administrativen Station aus der Tasche. Die Tür machte klick, und sie trat in die Stille. Es waren an die sechs Stunden vergangen, seit sie sich viel zu spät in den Konferenzraum der Klinik geschlichen hatte, der wie eine Insel mit Glaswänden mitten auf der Station lag.
    Jetzt war niemand dort, ebenso wenig wie in den Büroräumen zu beiden Seiten. Das waren kleine Schachteln, zum Flur mit Wänden und Türen aus Glas ausgestattet, die freie Sicht hinein, aber auch hinaus ermöglichten. Kein Milchglas. Vielleicht sollte das das Gefühl des Eingeschlossenseins verringern und gleichzeitig ein klein wenig Tageslicht in den Flur bringen. Doch sie hatte schon bemerkt, dass in den meisten Räumen die Gardinen zugezogen waren. So konnte niemand sehen, wenn man in der Nase bohrte oder anderen Geheimnissen fröhnte.
    Am Morgen war sie zehn Minuten zu spät wie ein furchtsames Hündchen in den Konferenzraum geschlichen, war lautlos auf den Stuhl am langen Konferenztisch geglitten und hatte versucht, sich unsichtbar zu machen. Der Arbeitstag begann um halb acht, eine halbe Stunde früher, als sie es aus der Studienzeit gewohnt war, und morgens machte das einen großen Unterschied. Außerdem waren die Straßen glatt und mit dem Fahrrad schwer befahrbar gewesen. Zu Fuß hätte sie noch länger gebraucht.
    Doch die um den Tisch versammelten Gesichter wirkten freundlich, nicht kritisch, und sie konnte sich ein wenig entspannen. Daniel Skotte, der in der Nacht Dienst gehabt hatte, berichtete gerade. Unrasiert und mit leerem Gesicht saß er wie ein Kartoffelsack in zerknittertem, hellblauem Arbeitshemd da und versuchte, das Wichtigste aufzuzählen. Der Spickzettel in seiner Hand war abgegriffen. Sie konnte über seine Schulter hinweg sehen, dass da nicht viel stand, und er sah auch nur flüchtig auf den Zettel. Er konzentrierte sich auf den Oberarzt und Klinikchef. Bettelte er um Anerkennung?
    Mit einem Mal tat er Hilda leid. Das unstillbare Bedürfnis, alles recht zu machen, war so offenkundig. Ein gesellschaftliches Erbe der unteren Schichten, damit kannte sie sich aus, denn sie empfand genauso. Außerdem sprach er eindeutig Dialekt. Die Diphthonge breiteten sich wie fette Wülste aus und brachten ihr Herz zum Schmelzen. So menschlich, ursprünglich und nett. Er war zumindest nicht hochnäsig und versnobt.
    Sie absorbierte gierig jedes Wort, das gesagt wurde. Sie war wie ein Löschpapier. Skotte berichtete von einer Frau mit Messerstichen im Gesicht – ihr Ehemann war über sie hergefallen –, die jetzt genäht worden war, Antibiotika bekommen hatte und stationär behandelt wurde. Ein Patient mit Prostatakrebs konnte sich zu Hause nicht mehr versorgen und hatte auch ein Bett bekommen. Alle im Zimmer kannten den Patienten. Vielsagende Blicke wanderten um den Tisch.
    »Wahrscheinlich kann er im Laufe des Tages in die Onkologie«, meinte Skotte und holte Luft, ehe er den letzten Fall ansprach.
    »Heute Morgen gegen halb sieben kam eine vierzigjährige Frau, die zusammengeklappt ist, als sie sich auf den Weg zur Arbeit machen wollte«, berichtete er. »Der Ehemann hat sie ins Krankenhaus gefahren. Sie war wirklich blass, fast weiß und hatte einen Hb von 7,5. «
    Hilda konnte nur noch mit einem Ohr zuhören. Die Gedanken verselbstständigten sich. Skotte fuhr fort, den Zustand der anämischen Frau zu analysieren. Sie hatte keine physisch anstrengende Arbeit, saß in einem Büro, sonst hätte sie die Blutarmut wohl schon früher bemerkt.
    »Weder eine übermäßige Menstruation und weder aus dem Enddarm noch aus der Mundhöhle«, spulte er ab.
    Hilda begriff, warum er alles abdecken wollte, sonst würde nämlich einer der anderen Kollegen noch eine Stelle nennen, aus der man womöglich auch bluten konnte, das hatte sie schon gelernt. Ärzte verhielten sich oft so. Nichts sollte vergessen werden, aber man wollte auch zeigen, wie gut man war.
    Doch niemand sagte etwas, sondern alle nickten nur. In der Stille, die ganz kurz entstand, verspürte Hilda, wie sich ein schleichendes und unangenehmes Ziehen in ihren Eingeweiden ausbreitete. Warum jetzt das?
    Die Frau war jetzt mit zwei
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