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Tod in Breslau

Tod in Breslau

Titel: Tod in Breslau
Autoren: Marek Krajewski
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besor-
    gen, werden wir einfach sagen, du seist mein unehelicher
    Sohn.«
    Doch Anwaldt war es nicht wirklich zum Lachen zu
    Mute. Er freute sich zwar, doch seine Freude mischte sich
    mit einer düsteren, bedrückenden Genugtuung – der Ge-
    nugtuung, wenn man einen verhassten Feind vernichtet
    hat.
    »Ich glaube, ich weißt jetzt, warum du mich all die Jah-
    re geschützt hast. Du hast dir einen Sohn gewünscht …«
    »Einen Scheißdreck weißt du. Komm mir nicht mit dei-
    ner Küchenpsychologie …« Mock tat entrüstet. »Schließ-
    lich war auch ich in die ganze Sache verwickelt. Und ich
    habe mich vor allem um meine eigene Haut gesorgt. Mir
    ist mein Bauch zu lieb, als dass ich ihn zu einem Tummel-
    platz für Skorpione machen möchte.«
    Sie beide wussten, dass Mock log.
    XVIII
    New York, Samstag, 14. März 1951.
    Vier Uhr morgens.

    Im Hotel Chelsea in der Fünfundfünfzigsten Straße
    herrschte um diese Zeit Ruhe. Hier wohnten vor allem
    Stammgäste: Handelsvertreter und Versicherungsagen-
    ten, die früh schlafen gingen, um anderntags ohne Sand
    in den Augen und ohne Alkoholfahne ihre Arbeit zu ver-
    richten.
    Diese gewohnte Nachtruhe wurde nur von dem Be-
    wohner eines großen Dreizimmerappartements im sech-
    zehnten Stock nicht eingehalten. Man hielt ihn für einen
    Schriftsteller. Nachts arbeitete er an einem großen
    Schreibtisch, vormittags schlief er aus, nachmittags ver-
    ließ er das Gebäude, und an den Abenden wurde bei ihm
    oft in der Gesellschaft von Damen gefeiert. Aber die heu-
    tige Vergnügung hatte sich bis drei Uhr früh hingezogen.
    Genau um diese Uhrzeit verließ eine übermüdete junge
    Frau in dunkelblauem Kleid mit großem Matrosenkragen
    das Zimmer des vermeintlichen Literaten. Bevor sie die
    Tür schloss, schickte sie eine Kusshand in die Wohnung,
    dann wandte sie sich zum Lift. Im Halbdunkel bemerkte
    sie, dass ihr zwei Männer auf dem langen Hotelflur ent-
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    gegenkamen. Als sie sich auf gleicher Höhe befanden,
    schreckte sie zurück. Das Gesicht des einen war von un-
    zähligen Narben entstellt, der andere besaß die irren Au-
    gen eines Fanatikers. Erleichtert atmete sie auf, als sie sich in die Obhut des schläfrigen Liftboys begeben konnte.
    Die beiden Männer blieben vor Zimmer 16 F stehen.
    Mock klopfte sachte. Die Tür öffnete sich einen Spalt
    weit, und das Gesicht eines alten Mannes wurde sichtbar.
    Anwaldt griff blitzschnell nach der Klinke und zog sie mit aller Kraft zu sich, sodass der Kopf des Alten zwischen
    Tür und Türstock geriet und er sich am stählernen Rah-
    men sein Ohr aufriss. Als er den Mund zum Schrei öffne-
    te, knebelte Mock ihn mit einem Taschentuch, und An-
    waldt ließ die Tür los. Der Alte taumelte ins Vorzimmer
    und riss sich den provisorischen Knebel aus dem Mund.
    Sein Ohr blutete. Bevor er wusste, wie ihm geschah, ver-
    setzte Anwaldt ihm einen Schlag mit der Faust, sodass
    das Ohr vollkommen zerquetscht wurde. Der Alte stürzte
    zu Boden. Mock schloss die Tür und schleifte den Körper
    ins Zimmer, wo er ihn auf einen Sessel hievte. Die Mün-
    dungen ihrer schallgedämpften Revolver waren unabläs-
    sig auf Maass gerichtet.
    »Eine Bewegung, ein Ton, und du bist erledigt.« An-
    waldt bemühte sich, Ruhe zu bewahren. Währenddessen
    sah sich Mock scheinbar interessiert die Bücher auf dem
    Schreibtisch an. Dann wandte er sich unvermittelt um
    und blickte den wehrlosen Mann spöttisch an.
    »Sag mal, Maass, steht er dir eigentlich noch? Wie ich
    sehe, hast du noch immer eine Vorliebe für Schulmäd-
    chen …«
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    »Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen.« Maass befühlte
    sein glühendes Ohr. »Sie verwechseln mich mit jeman-
    dem. Mein Name ist George Mason, ich bin Professor für
    semitische Sprachen an der Columbia University.«
    »Tja, wir haben uns verändert, was, Maass? Dem Mock
    von damals hat ein Stück brennende Dachpappe den
    Schädel skalpiert, und Herbert Anwaldt da, den hat man
    mit Knödeln gemästet – sein Lieblingsgericht im Irren-
    haus.« Langsam blätterte Mock in den Papieren auf dem
    Schreibtisch. »Und du? Hängebacken hast du gekriegt,
    und deine einst so hübschen Löckchen sind dir auch aus-
    gefallen. Aber immer noch dasselbe Temperament wie
    damals, was, Maass?«
    Der Mann schwieg, aber seine Augen weiteten sich. Er
    öffnete entsetzt den Mund, brachte es aber nicht fertig zu schreien. Mock presste ihm mit einer blitzartigen Bewegung das Taschentuch wieder fast bis in die Kehle. Nach
    einigen Augenblicken
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