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Tod in Breslau

Tod in Breslau

Titel: Tod in Breslau
Autoren: Marek Krajewski
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Bewusstsein, aber er
    leistete keinen Widerstand mehr. Er sah noch, wie der
    Untersetzte in dem zu engen Mantel langsam auf den
    hinzugeeilten Beamten der Bahnschutzbehörde zuging,
    wie er versuchte, ihn zu beschwichtigen, er sah den em-
    porgehaltenen Ausweis. Der SS-Mann lachte breit, und
    der Beamte mit dem Gummiknüppel, der über den nur
    mittelmäßigen Effekt seines ersten Schlags sichtlich
    erbost war, biss sich auf die Lippen und holte ein zweites Mal weit aus.

    Oppeln, Mittwoch, 14. November 1934.
    Ein Uhr nachts

    Ein ungewöhnlich eisiger Wind pfiff durch die Spalten
    der Garagentür. Die Kälte ließ Erkin wieder zu Bewusst-
    sein kommen. Er fand sich in einer unnatürlichen, halb
    sitzenden Position, beide Hände waren mit Handschellen
    an eiserne Ringe in der Wand gefesselt. Er zitterte. Er war nackt, seine Augen blutverklebt. Durch einen rötlichen
    Nebel konnte er einen untersetzten Mann erkennen.
    Mock ging auf ihn zu und sagte leise:
    »Endlich ist der Tag gekommen, Erkin, um die arme
    Marietta von der Malten zu rächen. Und wer wird sie rä-
    333
    chen? Ich. Du wirst das schon verstehen – auch wenn die
    Vergeltung eigentlich eure heilige Pflicht ist. Auch mir
    gefallen eure yezidischen Gepflogenheiten.« Mock durch-
    suchte seine Taschen und zog ein enttäuschtes Gesicht.
    »Leider habe ich weder Hornissen noch Skorpione bei
    mir. Aber keine Sorge, es gibt doch etwas, worin dein
    Tod dem Tod von Marietta ähnlich sein wird: Du wirst
    deine Jungfräulichkeit verlieren …« Mock blickte zur Sei-
    te. Aus der Dunkelheit tauchte ein Mann auf. Die winzi-
    gen Augen in seinem pickelübersäten Gesicht glühten,
    und den Türken ergriff ein Schauder. Er zitterte am gan-
    zen Leib, als er das Klirren der Gürtelschnalle und das
    Geräusch der abgestreiften Hose vernahm.
    334
    »Schlesische Tageszeitung« vom 22. fuli 1934, Seite 1:
    DER ELENDE TOD EINES FREIMAURERS

    Gestern im Morgengrauen wurde Baron Olivier von der Malten, Mitglied und einer der Gründer der Freimaurerloge »Horus«, in seiner Breslauer Residenz, Eichenallee 24, ermordet. Die Tat ver-
    übte sein unehelicher Sohn Herbert Anwaldt. Der Zeuge Matthias Döring, Kammerdiener des Barons, berichtet, dass der Täter in der Nacht die Residenz des Barons aufsuchte, um seinem Opfer angeblich wichtige Informationen zu überbringen. Wie uns aus sicherer Quelle mitgeteilt wurde, hatte Herbert Anwaldt an eben-diesem Tag erst erfahren, dass er der uneheliche Sohn des Barons sei, und wollte sich offenbar – ungeachtet der späten Stunde – mit seinem Opfer darüber auseinander setzen. Die Verzweiflung und die heftigen Emotionen des verstoßenen Kindes, das allein gelassen in fremder Obhut aufwachsen musste, hatten den Mörder
    wohl all seiner Vernunft beraubt. Nach einem hitzigen Streit er-stach er seinen Vater mit einem Schwert. Dem hinzugekommenen Chauffeur des Barons, H. Wuttke, gelang es, den Täter unschädlich zu machen, indem er ihn mit einem Kerzenleuchter nieder-schlug. Der Angeklagte wurde schwer verletzt in das Universitäts-klinikum überführt, er steht dort unter polizeilicher Aufsicht. Diese traurige Geschichte zeigt uns einmal mehr die moralische Ver-kommenheit der Freimaurer. Sie gehören aus unserer Gesellschaft eliminiert.

    »Tygodnik Ilustrowany« vom 7. Dezember 1934. Seite 3:
    (Ausschnitt aus dem Artikel »Abgrund der Dummheit«):

    Unseren westlichen Nachbarn scheint jedes Mittel für ihre Hetze gegen luden und Freimaurer recht zu sein – sogar ein abscheuliches Verbrechen. Hier ein Beispiel: Vor einigen Monaten ermordete ein geistig verwirrter Polizeibeamter in Breslau einen allseits 335
    angesehenen Aristokraten, Mitglied der Freimaurerloge »Horus«, den er für seinen Vater hielt. Propagandablätter vom Schlage des
    »Völkischen Beobachters« überboten sich daraufhin in ihrem gegen die Freimaurer gerichteten Gegeifere. Der mutmaßliche Vater des Täters (kein Wort fiel über die Mutter) wurde als ein wüster Lebemann dargestellt, der sein eigenes Kind der Gosse preisgegeben habe. Hingegen verteidigen alle Organe wie aus einem Mund den unglücklichen Täter: Seine Tat sei nichts als ein gerechter Vergeltungsakt für all das Schlimme gewesen, das ihm widerfah-ren sei. Mit dem Resultat, dass der geistesgestörte Messerstecher nach einer Gerichtsverhandlung, die einer Farce gleichkam, eine Freiheitsstrafe von lediglich zwei Jahren zu verbüßen hat.

    »Breslauer Neueste Nachrichten« vom 29. November 1934. Seite 1:
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