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Tod in Breslau

Tod in Breslau

Titel: Tod in Breslau
Autoren: Marek Krajewski
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Stockwerke
    hinweg zu unternehmen. Er musterte jeden einsteigenden
    Klienten aufmerksam. Gerade war ein Mann mit Leder-
    mantel und tief in die Stirn gedrücktem Hut eingestiegen.
    Barwick hatte eigentlich vor, ihn zu kontrollieren, doch
    er überlegte es sich gleich wieder anders. Einen solchen
    Menschen anzusprechen würde sicher nichts als Ärger
    bereiten. Einige Minuten später passierte der Polizist Max Forstner den Pedell. Barwick erkannte ihn. Sie hatten sich im vorigen Jahr während einer Zeugeneinvernahme kennen gelernt, als ein Überfall auf die Bank im Hause fehl-
    geschlagen war. Seither machte der Pedell immer einen
    besonders artigen Diener, wenn der Beamte das Gebäude
    betrat – und dies geschah jeden Freitag. Offenbar hatte
    Forstner dann in der Bank zu tun, allerdings war Barwick
    unklar, was genau der andere hier regelmäßig erledigen
    musste.
    Forstner stieg in den aufsteigenden Paternoster und
    verlor Barwick aus den Augen, während er langsam nach
    oben fuhr. Zwischen zwei Stockwerken erlebte er stets ei-
    nen Moment der Unbehaglichkeit und war froh, wenn
    sich der Boden der Kabine dem Niveau des nächsten
    Stockwerks näherte, wo er – mit einem weltmännischen
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    Lächeln – behände herausspringen konnte. Als er sich
    diesmal dem zweiten Stock näherte, wunderte er sich zu-
    nächst, dann wurde er wütend: Ein Kerl in Ledermantel
    stand direkt vor dem Ausstieg und machte keine Anstal-
    ten, auch nur einen Schritt zur Seite zu treten.
    »Weg da!«, schrie Forstner und versetzte dem Mann,
    der ihm den Weg verstellte, einen Stoß. Die Kraft, die er
    dafür aufwandte, war jedoch unvergleichlich geringer als
    die Wucht, mit welcher der Mann Forstner zurück ins In-
    nere der Kabine beförderte. Der Polizist wurde gegen die
    Wand gedrückt und dort festgehalten. Sie passierten den
    dritten Stock. Forstner versuchte an seinen Revolver zu gelangen – da fühlte er einen Stich in seinem Hals. Neunter
    Stock. Das Rattern der Maschinerie, das Rütteln der Kabi-
    ne, das Eintauchen in die Schwärze – Forstner konnte all
    das nicht mehr wahrnehmen. Der Aufzug vollführte seine
    Wende in der Dunkelheit des Dachbodens und befand
    sich wieder im neunten Stock. Hier sprang der Mann im
    Ledermantel hinaus und stieg die Treppe hinunter.
    Hans Barwick hörte plötzlich ein Knirschen im Me-
    chanismus und das hohe Kreischen der Ketten. Das Ge-
    räusch ging ihm durch und durch, und sofort schoss ein
    Gedanke in seinen Kopf: »Verdammt, schon wieder hat
    es jemandem ein Bein zerquetscht!« Er hielt den Lift an
    und stieg langsam, Stock für Stock, die neun Treppen
    hoch. Erst als er ganz oben angelangt war, musste er fest-
    stellen, dass seine Befürchtung noch zu optimistisch ge-
    wesen war: Zwischen dem Trennboden zweier Aufzugs-
    kabinen und der Schwelle zum neunten Stockwerk zuckte
    der unnatürlich verrenkte Körper von Max Forstner.
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    Dresden, Montag, 17. Juli 1950.
    Halb sieben Uhr nachmittags

    In der Grünanlage um das Japanische Palais, unweit des
    Karl-Marx-Platzes, wimmelte es vor Menschen, Hunden
    und Kinderwagen. Wer es geschafft hatte, ein Plätzchen
    im Schatten zu ergattern, konnte von Glück sagen. Zu ih-
    nen gehörten der Direktor der psychiatrischen Klinik
    Ernst Bennert sowie ein älterer Herr, der in eine Zeitung
    vertieft war. Sie saßen an den äußeren Enden der selben
    Bank, aber der ältere Herr schien nicht im Geringsten
    verwundert zu sein, als Ernst Bennert halblaut zu spre-
    chen begann. Doch als eine junge Frau mit einem neben
    ihr her trippelnden Knaben auf sie zukam und sich höf-
    lich erkundigte, ob sie sich dazu setzen dürften, blickten sich beide Männer an und verneinten in offensichtlichem
    Einverständnis. Die Frau entfernte sich und murmelte
    etwas Abschätziges über alte Männer im Allgemeinen,
    während Bennert unbekümmert seinen Monolog wieder
    aufnahm. Der ältere Herr hörte zu, bis Bennert geendet
    hatte, schließlich ließ er sein von zahlreichen Narben entstelltes Gesicht hinter der Zeitung zum Vorschein kom-
    men und dankte dem Arzt mit leisen Worten.

    Auszug des Berichts eines amerikanischen Geheimagen-
    ten in Dresden – M-234. 7. Mai 1945:

    »… während des Bombenangriffs auf Dresden kam unter
    anderen um: … der ehemalige Chef der Kriminalabtei-
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    lung der Breslauer Polizei, später Vizechef der Inneren
    Abwehr, Eberhard Mock. Aus den Meldungen des für ihn
    zuständigen Agenten GS-142 geht hervor, dass Mock in
    den Jahren
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