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Tod in Breslau

Tod in Breslau

Titel: Tod in Breslau
Autoren: Marek Krajewski
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und hier hättest du ein Vermögen …«
    »Ich bin unerbittlich und unbestechlich, antwortet der 329
    Tod.« Anwaldt setzte die Schwertspitze zwischen die Rippen des Barons. »Kennst du dieses Traktat? Es ist zu der
    Zeit entstanden, als Opa Godfryd mit seinem Säbel die
    Bäuche arabischer Jungfrauen aufgeschlitzt hat.« Die
    Schwertspitze stieß auf ein Hindernis. Es war die Stufe
    unter dem Rücken des Barons. Anwaldt ließ das Schwert
    und den zusammengekrümmten Leib des Barons auf der
    Treppe zurück und wandte sich dem alten Diener zu, der
    stumm vor Entsetzen die ganze Szene beobachtet hatte.
    »Schau her, Alter, hier hat Ritter Heribert von An-
    waldt, der Ungebrochene, diesem Wüstling, Satanisten
    und Yeziden seine gerechte Strafe zukommen lassen …
    Nun braucht es noch ein paar Skorpione, sodass wir das
    uralte Orakel erfüllen können … gibt es hier etwa keine?
    … Warte nur!«
    Als sich Anwaldt auf den Boden gekniet hatte und auf
    allen vieren fieberhaft den Boden nach Skorpionen ab-
    suchte, stürzte Hermann Wuttke, der Chauffeur des Ba-
    rons, in die Halle. Er zögerte nicht lange und griff nach
    einem schweren silbernen Kerzenleuchter.
    Die Sonne ging auf. Die Breslauer sahen den wolkenlo-
    sen Himmel und verfluchten den nächsten glühenden
    Tag.
    XVI
    Oppeln, Dienstag, 13. November 1934.
    Neun Uhr abends

    Der Zug Breslau-Oppeln hatte zwei Minuten Verspätung,
    was Mock, der an deutsche Pünktlichkeit gewöhnt war,
    ungeheuerlich erschien. (Kein Wunder, dass in einem
    Land, in dem ein österreichischer Gefreiter regiert, alles dem Niedergang entgegenstrebt!) Langsam fuhr der Zug ein. Durch das Fenster konnte Mock einen Mann sehen,
    der breit lachte und winkte – es war aber nicht ersicht-
    lich, wen er grüßte. Mock blickte Smolorz fragend an –
    auch der hatte den fröhlichen Reisenden bemerkt. Smo-
    lorz eilte zur Wartehalle und tat, als würde er das hohe,
    dekorative Gewölbe bewundern. Der Zug hielt. Im selben
    Fenster konnte Mock nun Kemal Erkin erkennen, und
    gleich hinter ihm diesen gut gelaunten Menschen, der ei-
    ner Dame dabei behilflich war, ihren schweren Koffer aus
    dem Zug zu hieven. Erkin sprang schwungvoll auf den
    Bahnsteig und begab sich geradewegs in die Wartehalle.
    Der Fröhliche ließ, zum sichtlichen Missvergnügen der
    Dame, den Koffer nachlässig auf den Perron fallen und
    beeilte sich, Erkin einzuholen.
    In der Wartehalle hielten sich nur wenige Fahrgäste
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    auf. Der Türke nahm von dort die Unterführung in Rich-
    tung Stadt, die der Länge nach durch eine eiserne Barrie-
    re in zwei Fußwege geteilt war. Erkin ging auf der rechten Seite, denn nach seinem jahrelangen Aufenthalt in
    Deutschland, war er an die hier herrschende Ordnung
    gewöhnt – so geschah es fast instinktiv, dass er beim An-
    blick eines Mannes, der ihm auf derselben Seite des Ge-
    länders entgegenkam, misstrauisch in seiner Tasche nach
    dem Revolver tastete. Doch sein Griff lockerte sich, als er erkannte, dass der Mann größte Mühe hatte, sich vorwärts zu bewegen, er taumelte von einer Seite auf die an-
    dere. Etwa auf gleicher Höhe wie der Betrunkene, jedoch
    auf der richtigen Seite, schritten vier SS-Männer und ein
    buckliger Angestellter mit Hut. Der Betrunkene kam nä-
    her und stellte sich Erkin in den Weg. Er schwankte so
    sehr, dass er kaum stehen konnte, und versuchte dabei,
    sich eine zerdrückte Zigarette in den Mund zu stecken.
    Der Türke lächelte innerlich über seinen anfänglichen
    Verdacht. Er gab zu verstehen, dass er kein Feuer habe,
    und wollte schon an ihm vorbeigehen, als er einen hefti-
    gen Schlag in die Magengrube erhielt und sich unwillkür-
    lich zusammenkrümmte. Aus den Augenwinkeln nahm
    er wahr, wie die SS-Männer über die Barriere sprangen.
    Bevor er sich mit dem Rücken an die Wand lehnen konn-
    te, hatten sie ihn auch schon überwältigt. Von der War-
    tehalle kam die gekränkte Dame getrippelt, die ihren
    schweren Koffer nun selbst schleppte. Einer der SS-
    Männer, ein untersetzter Kerl in zugeknöpftem Mantel
    und Mütze, stieß sie brutal zur Seite. Er hielt einen Revolver in der Hand. Erkin griff in seine Tasche – die letzte
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    Bewegung, die er noch ausführen konnte. Ein weiterer
    Stoß katapultierte ihn gegen die Barriere, an der er einen Moment lang hängen blieb. Zwei der SS-Männer hielten
    ihn an die Stange gepresst, und der vermeintliche Ange-
    stellte versetzte ihm mit dem Gummiknüppel einen
    fürchterlichen Hieb. Erkin blieb bei
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