Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tod in Breslau

Tod in Breslau

Titel: Tod in Breslau
Autoren: Marek Krajewski
Vom Netzwerk:
Polizist, da kann er gleich bei den
    Untersuchungen zum Mord an seiner Schwester mitar-
    beiten. Über die Familienverhältnisse kann ich ihn dann
    immer noch aufklären, um ihn eventuell ein wenig zu
    motivieren – war es nicht so? Wenn man sein Gewissen
    beruhigen kann – schön und gut –, aber wenn das noch
    einen praktischen Vorteil bringt … War es immer so, bei
    den von der Maltens?«
    »Das, was Sie einen praktischen Vorteil nennen«, der Ba-
    ron warf einen blasierten Blick auf seine Ahnengalerie, »das würde ich treffender als Familienstolz bezeichnen. Ich habe Sie kommen lassen, damit Sie den Mörder Ihrer Schwester
    zu fassen kriegen und diesen abscheulichen Mord rächen.
    Als Bruder wären Sie vollauf dazu berechtigt.«
    Anwaldt nahm seine Pistole aus der Tasche, entsicher-
    te sie und zielte auf das erste der Gemälde. Er drückte ab.
    Das Projektil bohrte sich mit einem trockenen Knall in
    das Porträt. Anwaldt begann fieberhaft seine Taschen zu
    durchsuchen. Der Baron packte ihn am Arm, zog aber
    seine Hand sofort wieder zurück. Der Polizist sah ihn mit
    getrübtem Blick an.
    »Ich halte es nicht aus … die Rache … wie ein deut-
    scher Yezide …«
    Der Baron straffte seinen ganzen Körper und nahm ei-
    ne aufrechte Haltung an. Noch immer standen sie sich in
    dem gedämpften, orangefarbenen Licht gegenüber.
    327
    »Ich möchte Sie bitten, vernünftig zu sein. Lassen Sie
    mich ausreden. Ich habe von Familienstolz gesprochen.
    Er hat bei uns eine jahrhundertelange Tradition und hat
    sich aus den Heldentaten unserer Vorfahren entwickelt.
    Das alles könnte mit einem Mal nicht mehr sein. Mein
    Tod würde das Ende unseres Geschlechts bedeuten, denn
    der letzte Spross unseres schlesischen Stammbaums, das
    bin ich.« Er packte Anwaldt an der Schulter und drehte
    ihn so, dass er direkt in von der Maltens einstmals edles
    und nun so verwüstetes Gesicht blicken musste. »Doch
    unser Geschlecht wird weiterexistieren, und zwar in der
    Person Herbert von der Malten.«
    Plötzlich ergriff er das Schwert mit den elfenbeinernen
    Intarsienarbeiten und dem goldenen Griff, das neben ihm
    an der Wand hing. Die Klinge wies einige Scharten auf.
    Er hielt es mit ausgestreckten Armen und trat zu An-
    waldt. Eine Zeit lang sah er ihn fest an, er versuchte seine Rührung zu verbergen und sich männlich und ritterlich
    zu geben.
    »Mein Sohn, vergib mir!« Er senkte den Kopf. »Alles,
    was du hier siehst – du wirst es erben! Nimm unser Wap-
    pen und unser geheiligtes Familiensymbol – das Schwert
    unseres Urahnen Bolesław von der Malten, Ritter im
    Dreißigjährigen Krieg. Durchbohre damit das Herz des
    Mörders! Räche deine Schwester!«
    Anwaldt nahm das Schwert feierlich entgegen. Er
    stand breitbeinig da und neigte den Kopf, als ob er nun
    erwartete, zum Ritter geschlagen zu werden. Seinem
    Mund entfuhr ein dünnes, zittriges Kichern.
    »Lieber Herr Vater, dein Pathos kommt mir einiger-
    328
    maßen lächerlich vor. Haben die von der Maltens alle in
    diesem salbungsvollen Ton gesprochen? Ich werde dir
    ganz schlicht antworten: Ich heiße Herbert Anwaldt und
    ich pfeife auf eure ehrenvolle Ahnengalerie, deren krö-
    nender Abschluss du bist. Ja, du! Denn ich werde meinen
    eigenen Stammbaum beginnen, ich, der Bankert eines
    polnischen Dienstmädchens und eines unbekannten Va-
    ters. Nach sieben Jahrhunderten wird niemand mehr et-
    was davon wissen, denn es werden sich ein paar Chroni-
    sten finden, die für entsprechendes Entgelt die Lebens-
    läufe ein wenig frisieren. Aber um mein eigenes Ge-
    schlecht zu gründen, muss ich am Leben bleiben. Und
    mein Leben ist gleichzeitig der Tod des Geschlechtes der
    von der Maltens. Mein Leben wird aus eurer Asche neu
    erstehen. Ist das nicht eine schöne Metapher?«
    Anwaldt hob das Schwert und schlug zu. Die Kopfhaut
    des Barons platzte auf, der blanke Schädelknochen kam
    zum Vorschein, und ein Blutschwall ergoss sich über sein
    Gesicht. Der Baron stürzte mit einem Aufschrei auf die
    Treppe: »Polizei!«
    »Ich bin von der Polizei.« Anwaldt folgte seinem Vater
    ein paar Stufen. Von der Malten stolperte und fiel. Er
    spürte plötzlich wieder das feuchte Bettzeug in der
    Schwüle des Dienstbotenzimmers. Auf dem beigefarbe-
    nen Treppenläufer breiteten sich dunkle Blutflecken aus.
    Seine lächerlichen Hosenbänder hingen aus dem Schlaf-
    rock, die eleganten Lederpantoffeln hatte er verloren.
    »Ich flehe dich an, bring mich nicht um … Du kommst
    ins Gefängnis …
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher