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Tod in Bordeaux

Tod in Bordeaux

Titel: Tod in Bordeaux
Autoren: Paul Grote
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er keine Geheimnisse hatte, mit dem er alles besprechen konnte, nein, jetzt nicht mehr, von Paletten zerquetscht, wie der Schwager gesagt hatte, was für ein grauenvoller Tod. Welcher Schwager überhaupt? Carolines Bruder? Caroline hatte doch nur eine Schwester, die in Schweden lebte.
    Sie wird Hilfe brauchen, jetzt, wo Gaston ... die zwei hatten wunderbar zusammengepasst, bis auf die üblichen kleinen Streitereien. Sie liebten sich, nein, mehr als das, sie litten, wenn sie sich einen Tag lang nicht sahen. Jetzt war Caroline Witwe. Grausig, dieses Wort. Klein war sie, eine südfranzösische Schönheit, wache Augen, römische Nase, ein feiner, klar gezeichneter Mund, drahtig und agil, voller Lebenslust und Energie. Ein Glücksfall. Sie hatte Gaston zu nehmen gewusst, seine Marotten, seinen Dickkopf und sein Einzelgängertum. So eine Frau hätte Martin sich gewünscht.
    Im Sommer erst waren Caroline und Gaston übereingekommen, aus Bordeaux wegzugehen, nicht gleich, aber in absehbarer Zukunft, zurück nach Saint-Chinian, von wo sie gekommen waren, weit weg vom Neid und der Eitelkeit des Bordelais. Gaston hatte erst nach langen Debatten zugestimmt, denn es hatte ihn immerhin zehn Jahre gekostet, sich hier einen Namen zu machen. Doch der größte Erfolg konnte das Gefühl, nicht willkommen zu sein, nicht aufwiegen.
    Carolines Wesen war ihrer Integration nicht gerade förderlich. Sie hatte keine Freude am Repräsentieren. Sie mied die großen Dinners in festlichem Rahmen, wich den blasierten Spinnern aus, wie sie die Chefs der großen Châteaux nannte. Lieber träumte sie vom Himmel Saint-Chinian, von «seinem Blau zum Reinfallen», von den endlosen Weinbergen und mittelalterlichen Dörfern, vom Horizont mit Raum zum Atmen. Dahin wollte sie zurück, ihrer Liebe wegen, die in Bordeaux vor die Hunde gehen würde. Das war ihr wichtiger als der Wein, der seit zwei Jahren endlich den nötigen Gewinn abwarf, um die Kredite zu tilgen.
    «Wenn alles bezahlt ist, gehen wir», hatte sie an Martins letztem Abend zu ihm gesagt. «Gaston ist einverstanden. Wir werden Syrah anbauen, Grenache und Mourvedre, die Rebsorten, die dort zur Erde passen, und nicht Merlot, wie hier. Vielleicht ein bisschen Cabernet, nur ein wenig, um interessante Cuvées zu machen.» Und ihre Augen hatten bei diesen Worten gestrahlt.
    Martin rannen Tränen übers Gesicht. Er konnte es noch immer nicht fassen. Mühsam erhob er sich, um sich die Hände zu waschen und den Wein vom Schreibtisch zu wischen. Als er sich später in seiner Wohnung verkroch, versuchte er eine Antwort auf die Frage zu finden, weshalb Gaston ihm den Haut-Bourton aufgedrängt hatte. Wozu diese Geheimniskrämerei?
    Am nächsten Abend holte Petra Martin ab, und gemeinsam fuhren sie ins Romolo, ihr Lieblingsrestaurant. Sie ging vor und öffnete wie üblich die Tür. «Wie ist es zu dem Unfall gekommen?», fragte sie über die Schulter und sah sich nach dem reservierten Tisch um. Der Inhaber begrüßte Petra persönlich mit Küsschen auf beide Wangen und brachte sie zu ihrem Tisch. Petra genoss die Aufmerksamkeit.
    Martin wäre lieber zu Hause geblieben, er war niedergeschlagen, traurig und enttäuscht, wütend auf das, was ihm von jetzt an fehlen würde. Wieso brachten es die größten Lumpen bis in die Achtziger und anständige Menschen nur bis knapp Vierzig?
    «Wer wird älter», fragte er Petra unvermittelt, «die guten Menschen oder die schlechten?»
    «Darauf kommt es nicht an. Die Frage ist, ob jemand schlau ist oder dumm. Die Schlauen leben länger. Aber sag, wie kam es zu dem Unfall?»
    «Mehr als das, was der Schwager erzählt hat, weiß ich auch nicht, und Caroline habe ich nicht erreicht. Gaston war sowieso sehr komisch an dem Morgen, als ich abgefahren bin, bedrückt und ärgerlich, als wenn ihn irgendetwas quälte ...»
    «Und was meint Caroline?»
    «Ich habe dir gerade erklärt, dass ich nur mit dem Schwager gesprochen habe.» Nur mit Mühe unterdrückte Martin seinen Unmut. «Ich nehme an, dass sie bei ihren Eltern ist.»
    «Wann wird die Beerdigung sein?» Petra kam immer schnell zum Praktischen, damit konnte sie umgehen. Gefühlsduseleien, wie sie es nannte, waren ihr ein Gräuel.
    «Woher soll ich das wissen?»
    «Ist sie versorgt? Hatte Gaston eine Lebensversicherung?»
    Martin schüttelte unwillig den Kopf. «Woran du jetzt denken kannst.» Er selbst hatte nicht einmal begriffen, dass Gaston nicht mehr für ihn da sein würde. Alles, was er bislang mit ihm zusammen
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