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Tod in Bordeaux

Tod in Bordeaux

Titel: Tod in Bordeaux
Autoren: Paul Grote
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Kasse. Die Einnahmen waren ausgezeichnet, auch die der letzten Wochen, obwohl die Konjunktur alles andere als rosig war. Ein gutes Omen für den Winter. Erleichtert steckte er Schecks und Bargeld in die Geldbombe, um sie in den Nachttresor zu werfen. Sein Blick fiel auf die Papiertüte mit den Haut-Bourton-Flaschen. Jetzt hatte er Zeit, ihn zu probieren. Ob er denselben Jahrgang tatsächlich noch im Keller hatte?
    Er trat auf den Hof und ging die Treppe zum Gewölbekeller hinunter. Er stammte aus der Zeit, als das Anwesen noch ein Bauernhof gewesen war und außerhalb der Stadt gelegen hatte. Das Klima war ideal zur Lagerung von Wein: Die Luftfeuchtigkeit war relativ hoch, und die Temperatur blieb das ganze Jahr über konstant. Hier lagen seine besten Gewächse. Die Stahltür am Fuß der Treppe hatte er einbauen und mit drei Schlössern sichern lassen, die in einer bestimmten Reihenfolge geöffnet werden mussten, anderenfalls heulte die Alarmanlage.
    Martin hielt sich gern im Keller auf, den er seine Schatzkammer nannte. Die Flaschen lagen in schmalen, gemauerten Regalfächern bis unter die Decke, das Licht war warm und weich, und kein Laut der Außenwelt drang hierher. In der Mitte des Raumes standen ein grober Tisch mit gescheuerter Platte und drei Stühle. Heute blieb ihm keine Zeit, die Stille zu genießen, denn was er nicht gleich morgen würde ausliefern müssen, musste eingeräumt werden.
    Martin fand die Kiste Haut-Bourton oben in einem Fach - die verschnörkelten Buchstaben und das Wappen des Château vom Prägestempel tief ins Holz gedrückt. Er brauchte eine Leiter, um heranzukommen, und nahm den Deckel ab. Genau der Jahrgang, den Gaston ihm gegeben hatte. Diese Kiste hatte er völlig vergessen, der Wein musste Jahre hier liegen, genug gealtert, um ihn jetzt zu trinken. Sieben Flaschen waren übrig.
    Er kannte ihn und hatte ihn so gut verkauft wie auch andere Crus. Der Jahrgang 1989 würde kaum noch aufzutreiben sein, und wenn, dann nur zu einem horrenden Preis. Weshalb sollte er ihn dann probieren? Aber wenn Gaston ihn um etwas bat, hatte es einen triftigen Grund.
    Martin klemmte sich eine Flasche unter den Arm und verließ den Keller. Er stieg die Treppe hinauf, und als er die Tür öffnete, riss der Sturm sie ihm aus der Hand, Regen peitschte ihm ins Gesicht, und Böen trieben Blätter über den Hof. Er atmete auf, als er wieder im Laden war. Draußen jaulte der Wind, und eine diffuse Unruhe ergriff ihn -anders als die angenehme Spannung, die er normalerweise beim Verkosten großer Gewächse empfand.
    Er kennzeichnete die Flasche, die er von Gaston bekommen hatte, und verglich die Etiketten. Ein Unterschied ließ sich nicht feststellen, und wie üblich schrieb er das Datum der Verkostung aufs Etikett. Als er Gastons Haut-Bourton öffnete, kam es ihm vor, als wäre der Flaschenhals rauer, aber das waren Unregelmäßigkeiten, die in der Produktion immer Vorkommen konnten.
    Er dekantierte den Wein, jeden für sich, ließ ihn langsam an der Innenseite der Karaffe hinunterlaufen, damit er möglichst viel Luft zog und oxidierte. Die bauchigen Bordeaux-Gläser waren zum Verkosten dieses Weins am besten geeignet. Martin schnüffelte daran und war zufrieden, sie rochen weder nach Handtuch noch nach Spülmittel. Er schenkte den Wein zwei Finger breit in jedes Glas und setzte sich.
    Der Wein war von einem tiefen, dunklen Rot, beinahe tintenfarben und undurchsichtig. Von der Farbe her waren beide identisch, nein, nicht ganz, wenn er genau hinsah. Der aus seinem Keller erschien dichter und hatte eine leichte Braunfärbung am Rand, was sicher am Licht im Büro lag. Martin schürzte die Lippen, steckte die Nase tief in das Glas des Weins, den Gaston ihm mitgegeben hatte, schloss die Augen und atmete tief ein - er wartete, was in seinem Kopf passieren würde.
    Zuerst stellte sich ein Gefühl von Wärme ein, dann Aromen von schwarzen Johannisbeeren, Backpflaume, Schokolade, ein wenig Leder roch er heraus, und Teer? Nein, aber etwas Chemisches, ganz weit hinten, Gummi vielleicht. Dazu kamen wie üblich Nelke und Vanille vom Ausbau im Eichenholzfass, und Karamell - eher scharf, wie von amerikanischen Eichenfässern und nicht von französischen, dabei verwendete Haut-Bourton angeblich kein amerikanisches Barrique. Eigentlich hätte dieser Duft längst vergehen müssen. Dann schnupperte er in das Glas des Weins aus seinem Keller.
    Eindeutig besser, dachte Martin, ganz klar. Zu dumm, ich hätte die Weine blind verkosten
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