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Tod im Dünengras

Tod im Dünengras

Titel: Tod im Dünengras
Autoren: Gisa Pauly
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trotzdem untersetzt und behäbig
wirkte. Die gesunde Farbe erinnerte Erik an einen frisch polierten Winterapfel.
    Heute allerdings nicht. Sören sah aus wie ein zu lang gelagerter
Boskop. »Ich bin erst gegen sechs ins Bett gekommen, Chef.
Junggesellenabschied! Ein Wunder, dass ich das Telefonklingeln überhaupt gehört
habe!«
    Erik versicherte Sören sein Mitgefühl. »Ich würde jetzt auch lieber
mit der Pfeife in der Sonne sitzen und aufs Mittagessen warten. Meine
Schwiegermutter ist sehr verärgert, weil die Schlägerei zu einem so ungünstigen
Zeitpunkt stattgefunden hat. Heute Mittag soll es Saltimbocca alla romana
geben.«
    Sören starrte seinen Chef an, ohne etwas zu sagen. Aber Erik ahnte,
dass seinem Assistenten das Wasser im Munde zusammenlief.
    Â»Sie hat sicherlich für Sie mitgekocht«, meinte er lächelnd. »Sie
kocht doch immer für Sie mit. Aber nun müssen wir erst mal den unangenehmen
Teil des Sonntags hinter uns bringen.«
    Frau Jesse empfing sie in ihrem Wohnzimmer. Sie sah blass
und verweint aus. »Was ist mit meinem Mann passiert?«, fragte sie statt einer
Begrüßung. »Ist er tot?«
    Erik ließ sich umständlich auf dem schwarzen Ledersofa nieder, das
Teil einer wuchtigen Sitzgarnitur war. Sören setzte sich neben ihn, und Erik
hoffte, dass Frau Jesse seine Fahne nicht bemerkte.
    Â»Nun sagen Sie schon!«
    Erik sah sie prüfend an und spürte dem Gefühl nach, das sich in
seiner Körpermitte einnistete. Es war tatsächlich Ärger! Aber warum?
Wahrscheinlich, weil sie ihn anstarrte, als wüsste sie bereits, was ihrem Mann
zugestoßen war, als brauchte sie nur Bestätigung. Warum hatte sie sich nicht
bei ihm gemeldet, als sie ihren Mann vermisste? Warum hatte sie ausgeharrt, bis
er zu ihr kam, um ihr die Nachricht zu bringen, die sie augenscheinlich
erwartete?
    Frau Jesse hatte ihn einmal während des sonntäglichen
Mittagsschlafes gestört, als ihr ein Fahrrad gestohlen worden war, und vor ein
paar Wochen hatte sie ihn kurz vor Mitternacht angerufen, weil ein Gast
verschwunden war, den sie der Zechprellerei verdächtigte. Warum meldete sie
sich nicht, wenn ihr Mann in der Nacht nicht nach Hause gekommen war?
    Â»Wie kommen Sie darauf, dass er tot sein könnte?«, fragte er und
schämte sich nur ein ganz kleines bisschen dafür, dass er Frau Jesse zappeln
ließ.
    Sie war eine Frau von gut fünfzig Jahren, ihr Gesicht war
ungeschminkt, aber sie hatte sich sorgfältig frisiert. Sie trug einen schwarzen
Rock und eine weiße Bluse, die Kleidung, die in einem Restaurant vom Service
erwartet wurde. Anscheinend hatte sie nicht die Absicht, die Jesse-Stuben
geschlossen zu halten, weil ihr Mann verschwunden war.
    Â»Er ist heute Nacht nicht nach Hause gekommen«, antwortete sie und
setzte sich erst jetzt zu ihnen, als sähe sie keinen Sinn mehr darin, unruhig
hin und her zu laufen.
    Â»Wann haben Sie das bemerkt?«
    Â»Heute Morgen. Als er nicht zum Frühstück erschien.«
    Â»Sie haben getrennte Schlafzimmer?«
    Frau Jesse nickte, als müsste sie sich dafür schämen, und
blickte auf ihre Hände. Erik wartete auf die Begründung, mit der die meisten
getrennt schlafenden Ehepartner aufwarteten, aber die Erklärung, dass ihr Mann
schnarchte, kam nicht.
    Â»Und warum haben Sie mich nicht gleich angerufen, als Sie Ihren Mann
vermissten?«
    Frau Jesse blickte nicht auf. »Ich wollte Sie am Sonntagmorgen nicht
stören.«
    Für diese lobenswerte Einstellung belohnte Erik sie mit der
Schilderung dessen, was geschehen war. »Ihr Mann wurde in die Nordseeklinik
gebracht«, schloss er. »Er ist schwer verletzt.«
    Frau Jesse nickte, als hätte sie nichts anderes erwartet, dann
verließ sie das Zimmer, als wollte sie nichts mehr von dem hören, was ihrem
Mann zugestoßen war. Erik hörte, wie sie in der Küche herumkramte und sich dann
laut und kräftig schnäuzte. Er flüsterte Sören zu: »Sie benimmt sich komisch,
finden Sie nicht auch?«
    Sören hatte seine Müdigkeit schlagartig abgelegt, von seinem Ärger
über den sonntäglichen Einsatz war auch nichts mehr zu spüren. »Sie weiß was.«
    Erik war überrascht. »Wie kommen Sie darauf?«
    Sören winkte ab, weil Frau Jesse das Zimmer wieder betrat. Zu Eriks
Erstaunen stand er nun auf und setzte die Befragung fort, als wäre er der
Leiter der
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