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Tod im Dünengras

Tod im Dünengras

Titel: Tod im Dünengras
Autoren: Gisa Pauly
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mit dem Messer herum, sodass Carolin
sich vorsichtig aus ihrer Reichweite entfernte. »Du meinst, das wird sie
erlauben?«
    Â»Fragen kostet nichts. Sie ist sehr nett, vielleicht ist sie
einverstanden. Sie klagt ja ständig darüber, dass der Inselchor chronisch
unterbesetzt ist. Vielleicht freut sie sich sogar über Zuwachs.«
    Die Knoblauchzehen flogen in die Pfanne, das Olivenöl spritzte, das
Spaghettiwasser kochte über. »Das wäre meraviglioso! Hat eure Chorleiterin eine
Ausbildung? Versteht sie was vom Chorgesang?«
    Carolin lachte. »Und ob! Vera Ingwersen hat früher in einem sehr
bekannten Chor gesungen. Das war in München. Und später hat sie einen
Kinderchor geleitet, ebenfalls in München. Einmal ist sie mit dem sogar im
Fernsehen aufgetreten.«
    Â»In München? Warum das?«
    Â»Weil sie aus Bayern stammt. Sie hat nach Sylt geheiratet. Und sie
hat sich gefreut, als ihr hier die Leitung des Inselchors angeboten wurde. Sie
kann wirklich was.«
    Zufrieden nahm Mamma Carlotta zur Kenntnis, dass sie ihr Talent
nicht irgendwelchen Dilettanten zur Verfügung stellen würde. Und als Carolin
erzählte, dass die Solosängerin des Chors sogar in jungen Jahren an einem
Konservatorium Gesang studiert hatte, war sie schwer beeindruckt.
    Â»Vera Ingwersens Schwiegermutter! Wenn sie damals nicht geheiratet
und ein Kind bekommen hätte, stünde sie jetzt als Sängerin auf der Bühne. Sagt
sie jedenfalls.«
    Mamma Carlotta erhob sich feierlich, stellte sich zwischen Tür und
Esstisch auf und reckte den Oberköper, als hätte sie schon einmal etwas von der
Stütze gehört, die ein Sänger aufbaut, ehe er zu einer Arie ansetzt.
    Â»Was soll ich vortragen, damit die Chorleiterin mich mitsingen
lässt? Und damit die Solistin merkt, dass ich singen kann? Vielleicht … das
Ave Maria?«
    Kaum hatte sie das A
anschwellen lassen, setzte in der ersten Etage ohrenbetäubender Lärm ein. Felix
sorgte auf seine Weise dafür, dass seine Nonna nicht einmal zum zweiten »Maria«
kam: Mit den Bässen der Heavy-Metal-Gruppe Metallica schlug er auf ihre
Bemühungen ein, ihr Talent unter Beweis zu stellen.
    Die Westerstraße war lang. Sie begann am Hochkamp und
endete am Dünenwall, einem Weg, der in einen Strandzugang mündete. Zwischen ihm
und dem Zugang am Ende der Berthin-Bleeg-Straße verlief hoch auf dem Kliff ein
Holzsteg, von dem man einen herrlichen Blick übers Meer und über die Dünen
hatte.
    Die Jesse-Stuben lagen in der Nähe des Kapellenplatzes. Das Haus war
aus dunklem Backstein erbaut, die bleiverglasten Fenster ließen wenig Licht in
den Gastraum. Alles, was sich mit dem Pinsel bearbeiten ließ, war weiß
gestrichen worden, besonders einladend fand Erik die Fassade trotzdem nicht. Er
kannte das Lokal, hatte es aber noch nie betreten. Umso angenehmer überrascht
war er nun, als er die Tür öffnete. Das Licht, das die hässlichen
bleiverglasten Fenster aussperrten, war mit einem zartgelben Anstrich der
Wände, mit hellem Mobiliar und orangefarbenen Tischdecken ins Haus geholt
worden. Erik hatte gelegentlich Feriengäste sagen hören, in den Jesse-Stuben
gäbe es den besten Kartoffelsalat der Insel, und das gebratene Fischfilet, das
dazu serviert würde, sei hervorragend. Der Fischgeruch, der aus der Küche
drang, machte ihm prompt Appetit. Am liebsten hätte er sich, bevor er mit Frau
Jesse sprach, Kartoffelsalat und gebratenes Fischfilet bestellt und Mamma
Carlotta nichts davon verraten. Für sie gehörte Kartoffelsalat zu den ganz
schlimmen Entgleisungen der deutschen Küche. So etwas ihrem italienischen Essen
vorzuziehen wäre eine schreckliche Beleidigung gewesen. Lucia hatte sich im
Verlaufe ihrer Ehe nur ein einziges Mal dazu überreden lassen, sich an einem
Kartoffelsalat zu versuchen. Und sie hatte Glück. Erik hatte den Wunsch nie
wieder geäußert. Italienerinnen fehlte die richtige Einstellung zum
Kartoffelsalat.
    Gerade wollte Erik die Eingangstür hinter sich schließen, da hörte
er aufgeregtes Fahrradklingeln. Sein Assistent Sören Kretschmer radelte den
Mittelweg entlang und hielt direkt auf ihn zu. »Warten Sie, Chef! Ich komme
mit!«
    Sören war Mitte zwanzig, ein Sylter, der sich auf der Insel so gut
auskannte wie Erik. Schlank und drahtig war er, weil er viel Sport trieb, aber
sein Gesicht war flächig und so rund, dass er
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