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Hoffnung ist Gift: Roman (German Edition)

Hoffnung ist Gift: Roman (German Edition)

Titel: Hoffnung ist Gift: Roman (German Edition)
Autoren: Iain Levison
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Kapitel eins
     
    D ienstag, am frühen Abend, fahre ich zum Flughafen runter. Gleich nach sechs Uhr kommen die Geschäftsreisenden an. Da das auch die anderen Taxifahrer wissen, bildet sich am Taxistand oft eine lange Fahrzeugreihe, und wenn es mehr Taxis als Kunden gibt, kannst du stundenlang warten, ohne eine Fahrt zu bekommen. Aus diesem Grund mach ich mir in der Regel auch nicht allzu viel aus dem Flughafen oder dem Bahnhof, und am Busbahnhof bin ich seit Jahren nicht gewesen (wenn diese Leute Geld für ein Taxi hätten, wären sie wohl nicht mit dem Bus unterwegs …), aber an diesem Abend hab ich ein gutes Gefühl.
    Und in der Tat: Schon beim Runterfahren ist der Verkehr dünn, und dann stehen bloß zwei Wagen vor mir in der Reihe. Einer davon ist Charlie White, der wahrscheinlich schon den ganzen Nachmittag hier rumsteht, nur um dann Erster zu sein, wenn die Business-Typen eintrudeln. Charlie sitzt seit dreißig Jahren hinterm Steuer und hängt der Philosophie an, eine einzige gute Fahrt sei allemal besser als ein Dutzend Kleinaufträge. In den achtziger Jahren hat er mal eine Fahrt vom Dallas Fort Worth Airport nach Waco aufgerissen – einige Hundert Dollar, dazu noch ordentlich Trinkgeld. Seither hängt er ständig am Flughafen rum.
    Eine Flugzeugladung Anzugträger kommt durch die automatischen Türen raus, alle mit Rollköfferchen im Schlepptau. Ich überlege gerade, wie sich die Mode bei Reisegepäck die Jahre über geändert hat, als ich höre, wie meine Wagentür geöffnet wird. Als ich mich umdrehe, sehe ich eine hübsche blonde Frau in einem hellbraunen Hosenanzug einsteigen. Ich rieche teures Parfum.
    »Kennen Sie Westboro?«, fragt sie.
    »Ja, kenn ich.« Mindestens eine halbe Stunde Fahrzeit, so viel weiß ich. Da könnten an die sechzig Dollar rausspringen. Jetzt sehe ich Charlie wegfahren, und ich frage mich, ob ihm sein unendliches Warten eine ähnlich gute Fuhre eingebracht hat. Meistens wollen die Geschäftsreisenden ja doch nur in ein Downtown-Hotel.
    Sie wirft ihr Rollköfferchen auf den Sitz, steigt ein und nennt mir die Adresse. Dann holt sie, wie jeder andere Fahrgast auch, ihr Mobiltelefon aus der Tasche.
    Seit es Mobiltelefone gibt, hat sich der Beruf des Taxifahrers verändert. In den alten Zeiten musstest du jede Menge Konversation machen. Jetzt hörst du nur mehr den Gesprächen der anderen zu. Sieht ganz so aus, als könnte es kein Mensch länger als fünf Minuten in einem Taxi aushalten, ohne einen Freund oder ein Familienmitglied anzurufen, um dem mitzuteilen, man sei gerade in einem Taxi. »Hey Baby, was läuft so? Echt wahr? Ich bin gerade im Taxi …« Taxifahren ist offenbar wesentlich interessanter, als ich immer dachte, sonst würde es nicht ständig zum Thema gemacht.
    Ich beobachte sie im Spiegel, während sie mit ihren Kindern telefoniert. »Mutti ist in einer halben Stunde bei euch«, sagt sie frohgemut, dann folgen noch ein paar Fragen über die Schule. Eine selbstbewusste Frau, das hab ich gleich bemerkt – als Mutter und im Berufsleben. Ich bin mir sicher, dass sie zu Hause sagt, wo’s langgeht. Ihre Stimme ist laut und klar.
    Sie legt auf und ruft gleich jemand anderen an. Diesmal spricht sie mit weicherer Stimme. »Ja«, sagt sie, »es war ein ruhiger Flug. Keine Verspätung.« Jetzt versucht sie, noch leiser zu sprechen, so als würde ich sie neugierig mustern und nicht meine Augen geradeaus auf die Straße richten. Wenn das ihr Mann wäre, würde sie wohl kaum so geheimnisvoll tun. Diese Beziehung will sie geheim halten, sie scheint aber im Metier der Untreue noch ein Neuling zu sein, wenn selbst ein Taxifahrer das so schnell rauskriegt. Möglicherweise war das ja auch gar keine Geschäftsreise. Zum Ende des Gesprächs hin hat sich ihre Stimme bis zur Unhörbarkeit verflüchtigt.
    Sie klappt ihr Handy zu und legt es in die Handtasche, lehnt sich auf dem Vinylsitz zurück und beobachtet die Autobahn.
    »Sie sind Amerikaner«, sagt sie nach einer Weile. Sie hat meine Taxilizenz am Armaturenbrett studiert.
    »Ja, Ma’m.« Wegen der zahlreichen Taxifahrer aus dem Nahen Osten oder aus Asien wird diese Tatsache immer öfter kommentiert. Normalerweise krieg ich als Nächstes ein »verdammte Ausländer« oder so was Ähnliches zu hören, aber diese Lady ist dafür zu fein.
    »Ist ewig her, dass ich einen amerikanischen Lenker hatte«, sagt sie. »Ich wusste gar nicht, dass es das noch gibt.«
    »Ich geb Ihnen meine Karte«, sage ich. Wenn Sie mich einen Amerikaner
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