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Tod im Dom

Tod im Dom

Titel: Tod im Dom
Autoren: Thomas Ziegler
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Behrens aus Leipzig.«
    Eine Ossi.
    Mein ohnehin nur schwach ausgeprägtes Interesse erlosch schlagartig. Ich entzog ihr meine Hand. Eigentlich hatte ich ihr damit unauffällig in die Taschen ihrer Öljacke greifen wollen, aber so, wie ich diese Ossis kannte, hätte ich dann noch draufzahlen müssen.
    Mit einer Behendigkeit, die ich ihr niemals zugetraut hätte, sprang sie auf, doch sie wurde nur unmerklich größer – sie war nicht nur eine Ossi, sie war auch noch eine Zwergin. Immerhin brachte ihr das den unschätzbaren Vorteil ein, zu mir aufschauen zu dürfen, und mehr konnte sie vom Leben wirklich nicht erwarten.
    »Und Sie?« fragte Anja Behrens mit glücklichen Eulenaugen. »Studieren Sie auch?«
    »Ich bin Börsianer«, erklärte ich würdevoll und wandte mich ab. Ich konnte es mir nicht leisten, meine Zeit mit einer Zwergin zu vertrödeln, die angesichts ihrer Herkunft nur Unkosten verursachen konnte. Ibiza erwartete mich. »Gucken Sie ruhig weiter. Ich muß zur nächsten Börse.«
    »Gähnse doch noch nicht«, rief sie mir nach. »Ich weiß ja nicht mal, wie Sie heißen!«
    »Meine Mutter nennt mich Harry. Alle anderen – Präsident!«
    Ich machte mich davon.
    Eine halbe Sekunde später hatte ich Anja Behrens bereits vergessen.
    Hoffnungsvoll spähte ich in jede der sieben Kapellen, die den Chorumgang säumten, fand jedoch nur gähnende Leere vor, als hätte sich Gott entschlossen, alle Dompilger vor meinen Langfingern zu bewahren, was für meine Religiosität nur verheerende Folgen haben konnte.
    Als ich den Chorumgang verließ und in das nördliche Seitenschiff bog, stieß ich mit einem Kerl zusammen, der plötzlich hinter einer der Säulen auftauchte. Es war zu dunkel und alles ging viel zu schnell, um viel von seinem Gesicht erkennen zu können, aber was ich sah, war so häßlich, daß ich mehr gar nicht sehen wollte. Automatisch griff ich ihm in die Taschen und bekam irgend etwas Kleines, Hartes zu fassen, doch er riß sich sofort los, stieß mich brutal zur Seite, daß ich mit dem Hinterkopf gegen die Säule prallte, und war schon auf und davon, ehe ich ihm zur Strafe gegen das Schienbein oder sonstwas treten konnte.
    Ich rieb mir den brummenden Schädel und wünschte ihm die Pest und obendrein noch meine verflossene Freundin an den Hals.
    Dann fiel mein Blick auf den schlafenden Mann, und mir ging das Herz auf.
    Er saß direkt hinter der Säule auf einer Kirchenbank, wie vom Schicksal eigens für mich herbestellt, Typ Filialleiter einer großen Bank, die ihren Kleinschuldnern das Häuschen im Grünen wegpfändete, um ihren Aktionären die Villa im Tessin zu finanzieren, darob in Gewissensnöte geraten und in den Dom geeilt, damit Gott persönlich ihm Ablaß gewährte. Der Kopf war ihm auf die Brust gesunken, als wäre er beim Beten schon nach dem Vater unser eingenickt, und er rührte sich nicht einmal, als ich mich jetzt lautstark räusperte, um die Tiefe seines Schlafes zu testen. Ein eleganter Fedorahut, der mehr gekostet haben mußte, als ein vernünftiger Mensch je für ein Kleidungsstück ausgeben würde, überschattete sein Gesicht, und an seinem linken Handgelenk funkelte eine jener Schweizer Uhren, die sich reiche Leute als tragbare Geldanlagen zu kaufen pflegen. Die desolaten Lichtverhältnisse erlaubten es nicht, auch noch den Rest seiner Garderobe zu taxieren, aber hochgerechnet mußte er den Gegenwert eines Mittelklassewagens mit sich herumschleppen.
    Für meine Ibiza-Pläne war er der ideale Mann.
    Ich zögerte nicht länger.
    Mit einem raschen Blick vergewisserte ich mich, daß niemand in der Nähe war, trat in die Bankreihe hinter ihm, wartete noch ein paar Sekunden ab, und als er sich immer noch nicht rührte, griff ich ihm kühn in die Innentasche seines Jacketts.
    Aber meine Hand erreichte nie ihr Ziel.
    Sie stieß in Höhe seines Herzens auf etwas Hartes, Kühles, das dort feststeckte, und ehe ich begriff, was ich tat, hatte ich den Gegenstand schon in der Hand und zog ihn heraus.
    Verdutzt starrte ich ihn an. Es war dunkel im Dom, aber nicht so dunkel, daß ich nicht gesehen hätte, was ich da in der Hand hielt.
    Es war ein Messer.
    Mit blutiger Klinge.
    Ein Messer.
    Und der schlafende Mann… war tot. Erstochen. Mitten ins Herz gestochen. Mit dem Messer, das ich in der Hand hielt.
    »O nein«, sagte ich. »O nein!«
    Ich starrte das Messer an, dann den Toten auf der Kirchenbank. Während ich ihn anstarrte, kippte er steif zur Seite und verlor den Hut, der bislang sein Gesicht
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